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Verzauberte Steine / Enchanted stones

04.11.2015 Siem Reap / Kambodscha / N13°24’23.0“ E103°49’33.5“

 

Schlaftrunken stehe ich wieder auf. Nachdem Sten mir zu verstehen gibt, dass wir noch einmal ein Stück fahren müssten. Nur langsam komme ich von meiner Schlaf- in die vermeintliche Reale-Welt zurück. Durch die Nacht fahren wir, dem Polizei Fahrzeug folgend. Für einen guten Ort zum Sonnenaufgang hatten wir den Leo auf einen Parkplatz, direkt gegenüber Angkor Wats gestellt. Was für uns nach einem lauschigen Plätzchen für die Nacht aussah, die Luft erfüllt vom Duft der alten Steine, wirkte auf die Polizisten kriminell. Sie vermuteten, mit uns ein paar der leider noch immer häufigen Kunsträuber entdeckt zu haben. So konnten sie verständlicher Weise nicht akzeptieren, dass wir die Dunkelheit im Schatten Angkors verbrachten und lotsten uns zu ihrer Polizei Station. Dort gibt es für uns eine, nun gut bewachte Stelle und eine hoffentlich entspannte Nacht.

„Angkor“, das Wort sagte mir vor bald zwei Jahren so gut wie gar nichts, als ich den Titel eines kleinen Reiseführers besah, den Sten von unseren Freunden geschenkt bekam. Unendlich weit weg schien es mir, mental und physisch zugleich. „Angkor“, der Begriff, löste auch zu Beginn dieses Jahres noch wenige Emotionen in mir aus, als wiederum andere unserer Freunde diesen Ort aufsuchten und davon schwärmten. Ich näherte mich an. Monat für Monat stand das kleine Büchlein aufgereiht neben all den anderen, die mit ihren großartigen Inhalten auf Entdeckung warteten. Exemplar für Exemplar entnehme ich der Reihe und beginne mich hineinzuversetzen. Ich kann das immer erst in dem Moment, wenn der Ort oder das Thema sich selbst auf dem Silbertablett unseres Tages präsentiert. Dann hat es Präsenz, dann erhält es alle Aufmerksamkeit, die ihm zweifelsohne zusteht.

Siem Reap, die Stadt, die die Nachbarschaft der Tempel genießt. Sie sind ihr Leben, ihr Puls, ihr Herz. Mit allem was denkbar ist. Das Land rundherum wirkt ländlich verschlafen. Als käme es aus einer anderen Zeit. In Angkor SIND wir nun in einer anderen Zeit und doch zeigt sich Siem Reap heutig, wie es für mich kaum gegenwärtiger geht. Die geschichtsschwangeren, von Hochkultur kündenden Steine auf der einen Seite. Menschenmengen, Hotels bewohnend, Zivilisation zelebrierend, die Bars und Restaurants bestürmend, umgeben von tausenden an Tuk Tuk Fahrern, die auf Gäste warten, um sie für fünf bis 15 Dollar zu den Tempeln zu bringen auf der anderen Seite. Alle suchen ihr Glück. Manche finden es. Wir lassen uns das kühle Bier mit allen anderen schmecken, die gerade die gleiche Idee hatten und sind froh, unseren Rückzugs-Leo bei uns zu haben.

Was ist das nun, Angkor Wat und die vielen anderen Tempel, die in einem fast zehn Mal zehn Kilometer großen Areal verstreut liegen? Rollend auf unserem Motorrad, nähern wir uns weiter an. Ein Wassergraben ist das Erste, was wir sehen. Er zeugt von hinduistisch geprägter Baukunst. Sechshundert Jahre lang währte die Blütezeit des Angkor-Reiches, von achthundertzwei bis vierzehnhundert einunddreißig unserer Zeit. Das Reich dominierte in diesen Tagen weitestgehend Südostasien. Die Khmer sind es, die diese Macht des Herrschens und der Baukunst hervorbrachten. Neununddreißig Könige kamen damals in den Genuss des Sitzens auf dem höchsten Throns. Manche zu weiteren Landeroberungen aufgelegt, andere eher wohlig genießend. Historiker bemühen sich seit vielen Jahren, aus den steinernen Inschriften mehr über diese weitreichende Herrschaftsperiode zu erfahren. Doch diesem Entdeckungsdrang wurde durch Unruhen und Kriege, wie den in Vietnam und die Jahre der Roten Khmer, immer wieder ein Knüppel zwischen die Beine geschlagen. 1993 erhob die UNESCO Angkor zum Weltkulturerbe und wird in seiner Bedeutsamkeit in einem Atemzug mit den Ägyptischen Pyramiden und Machu Picchu in Peru genannt.

Die Goßräumigkeit des Angkor Wats zieht mich in seinen Bann. Ich verliere mich in der unglaublichen Vielfalt und Detailliebe der Reliefs. Suche darin meinen Ruhepol, um nicht von der Gewalt des Bauwerkes vereinnahmt zu werden. Ich laufe und laufe und scheine doch kein Anfang und Ende finden zu können. Architektur als Machtinstrument. Für mich hier mehr als spürbar. „Bayon“, diesen Namen kenne ich seit meiner frühesten Jugend. Eine Band gab sich 1971 in Weimar, meiner Geburtsstadt, diesen Namen. Ein Kambodschaner war damals Mitglied der Band. Von ihrem Schallplatten Cover erinnere ich die versteinerten Köpfe, vor denen ich nun leibhaftig stehe. Zweihundertsechzehn Gesichter schauen mich von vierundfünfzig Türmen aus an, durch mich hindurch, über mich hinweg. In Meditation versunken scheinen sie mir, diese in sich ruhenden Züge der Mimik. Die einen sagen, die Gesichter zeigen den damaligen Herrscher Jayavarman VII. Andere sind der Meinung, dass ein der Erleuchtung naher Buddhist, seine Weisheit verkündender „Bodhisattwa“ Modell stand, oder Brahma, eine der Hauptgottheiten des Hinduismus Vorbild war. Der Ort ist für mich Friedfertigkeit in übermenschgroßer Dimension.

Ich versinke in den geschwollenen Lippen, im Blick der Augen, die etwas Ewiges zu sehen scheinen.

Ganz anders „Ta Prohm“, ein anderer Tempel. Mitten im Dschungel tauchen vor uns Stein-Wurzel-Baum-Relief Kunstwerke auf. Wie zäher süßer Milchbrei ergießen sich die Wurzeltentakeln über den Steinbauten aus dem 12. Jahrhundert. Die Kraft der voranstrebenden Natur treibt seit Langem ihr Spiel mit den Steinen. Dabei zeigen sie ihr künstlerisches Verständnis. Geprägt von einem großen Gespür für Ästhetik. Die Wurzeln gehen eine unglaublich grazile Symbiose mit den Bauten ein. Sie bereichern sie, schenken ihnen ein neues verändertes Antlitz. Auch wenn ein Erdrücken und damit Zerfallen der Mauern mitunter nicht ausbleibt. Ich kann lange stehen um die Formen mit meinen Augen zu ertasten. Vorwärts drängen mich einzig die nachrückenden Menschentrauben. Ich fühle mich verzaubert, von dieser Märchenwelt. In der es mich nicht wundern würde, erhöbe sich plötzlich aus der innigen Verschlungenheit ein leibhaftiges Wurzel-Stein Liebespaar.
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