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Abschiedsparty ohne Party / Farewell party without celebration

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Abschiedsparty ohne Party / Farewell party without celebration

28.12.2015 Phom Penh / Kambodscha / N11°37’14.5“ E104°55’31.1“

Keine Sektkorken knallen. Kein KKeine Sektkorken knallen. Kein Konfetti und großes Tam Tam. Eher leise nehmen wir Abschied von unserem Leo. Mit ner Schale voll aufgeschnittenem Obst. Er ist einfach „nur“ ein Fahrzeug. Doch für uns bedeutet Leo inzwischen viel mehr. Er ist derjenige, mit dem wir all unser Erleben geteilt haben, in den vergangenen dreihundertachtundsechzig Tagen. Ihm ist nichts zu erklären. Er kann mit uns schweigen und kennt doch alles. Auch das, was nicht in Worte zu formen geht. Was sich sperrt oder so zart anfühlt, dass selbst empfindsame Worte es beschädigen könnten. Leo ist Teil unseres Teams. Wir sind zusammen gewachsen. Irgendwo da draußen in der staubigen Steppe. Wann genau es war, kann ich nicht sagen. Es geschah langsam und allmählich. Grub sich ein, in unsere Gefühlswelt. Und wohnt dort stabil. Da bin ich sicher. Was bitte ist es nur, was sich zu Hause um so Vieles anders anfühlt als unterwegs? Woher nehmen wir dieses Gefühl der Sicherheit, wenn wir uns im gewohnten Umfeld bewegen? Warum spüren wir mit jeder Faser unseres Wesens, dass es nicht so ist, sobald wir einen Fuß vor den anderen setzen und alle Trautheit hinter uns lassen? Ich rede nicht von Gefährlichkeit, die draußen auf uns lauert. Ich spreche davon, mit welcher Klarheit mir bewusst geworden ist, welch kleines Sandkorn im Wind wir sind. Mal gelitten, gut aufgehoben und behütet. Mal den Stürmen ausgesetzt, die wüten. In uns und um uns herum. Das ist zu Hause nicht wirklich anders. Denke ich. Wir meinen es nur zu glauben. Als Sandkorn bin ich gegangen. Als Sandkorn weht es mich nun allmählich heimwärts. Unterwegs hat uns Leo beschützt, vorangebracht, ist durch enge, Menschen überfüllte Gassen, die voller niedriger Stromkabelbündel hingen, gefahren. Ich bahnte ihm den Weg und bedanke mich bei unserer ausziehbaren Malerrolle.

Phom Penh / Kambodscha N11°37’14.5“ E104°55’31.1“

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Sie war spitzenmäßig gut geeignet, die Stromversorgung, Telekomunikation und was auch immer, einen Meter weit anzuheben, damit Leo darunter hindurch passt. Er hat sich Wege gesucht, wo es keine gibt. In den ausladenden und doch einladenden Weiten der Mongolei.onfetti und großes Tam Tam. Eher leise nehmen wir Abschied von unserem Leo. Mit ner Schale voll aufgeschnittenem Obst. Er ist einfach „nur“ ein Fahrzeug. Doch für uns bedeutet Leo inzwischen viel mehr. Er ist derjenige, mit dem wir all unser Erleben geteilt haben, in den vergangenen dreihundertachtundsechzig Tagen. Ihm ist nichts zu erklären. Er kann mit uns schweigen und kennt doch alles. Auch das, was nicht in Worte zu formen geht. Was sich sperrt oder so zart anfühlt, dass selbst empfindsame Worte es beschädigen könnten. Leo ist Teil unseres Teams. Wir sind zusammen gewachsen. Irgendwo da draußen in der staubigen Steppe. Wann genau es war, kann ich nicht sagen. Es geschah langsam und allmählich. Grub sich ein, in unsere Gefühlswelt. Und wohnt dort stabil. Da bin ich sicher. Was bitte ist es nur, was sich zu Hause um so Vieles anders anfühlt als unterwegs? Woher nehmen wir dieses Gefühl der Sicherheit, wenn wir uns im gewohnten Umfeld bewegen? Warum spüren wir mit jeder Faser unseres Wesens, dass es nicht so ist, sobald wir einen Fuß vor den anderen setzen und alle Trautheit hinter uns lassen? Ich rede nicht von Gefährlichkeit, die draußen auf uns lauert. Ich spreche davon, mit welcher Klarheit mir bewusst geworden ist, welch kleines Sandkorn im Wind wir sind. Mal gelitten, gut aufgehoben und behütet. Mal den Stürmen ausgesetzt, die wüten. In uns und um uns herum. Das ist zu Hause nicht wirklich anders. Denke ich. Wir meinen es nur zu glauben. Als Sandkorn bin ich gegangen. Als Sandkorn weht es mich nun allmählich heimwärts. Unterwegs hat uns Leo beschützt, vorangebracht, ist durch enge, Menschen überfüllte Gassen, die voller niedriger Stromkabelbündel hingen, gefahren. Ich bahnte ihm den Weg und bedanke mich bei unserer ausziehbaren Malerrolle. Sie war spitzenmäßig gut geeignet, die Stromversorgung, Telekomunikation und was auch immer, einen Meter weit anzuheben, damit Leo darunter hindurch passt. Er hat sich Wege gesucht, wo es keine gibt. In den ausladenden und doch einladenden Weiten der Mongolei.
In China hatte ich Angst um ihn. Zu dicht, zu eng, zu schnell, zu alles ging es mir dort vor. Nicht gerade der Ort für unseren gemütlichen Begleiter. Doch als ehemaliger Schneeschieber und Salzstreuer ist Leo kein verwöhnter Stubenhocker. Also hat er auch das mit uns durchgezogen. Später wurde es lieblicher für ihn. Auf eine Art sanfter. Die Gegensätze krachen hier nicht weniger aufeinander. Es scheppert und klirrt auch in Südostasien. Und doch strahlt die Gegend eine Milde aus, die mich ruhig hat werden lassen. Ohne Anfang und Startpunkt. Eher fließend hat es sich ergeben. Wie alles hier. Leo floss mit. Der kleinen Pförtnerfamilie sind wir in den vergangenen Tagen näher gerückt. Hinter dem fest gemauerten Eingangsgebäude des Firmengeländes, auf dem Leo nun steht, haben sie sich einen Blechverschlag hingebogen. In dem leben die Drei. Geschlafen wird draußen. Verteilt auf dem Hof stellen sie nachts ihre Holzgestelle mit selbst konstruierter Moskitonetzhalterung auf. Zwischen den parkenden Autos finden sie allabendlich ihren Platz. Der Papa fährt seine kleine Tochter mit dem Hubwagen umher. Geradezu meisterlich schaffen sie es, nirgendwo an den feinen Lack der Karossen anzustoßen. Die junge Frau kocht in ihren Töpfen am Boden hockend. Oder schaukelt sich selbst in der Hängematte wo auch immer hin. Diesem friedlichen Leben haben wir einiges aus unserem Leo hinzugefügt. Alles was uns zu viel erschien, haben wir den drein geschenkt. Es war wie zu einer Einzugsparty. Also doch ne Party. Eben nur anders. Dann geht alles schnell. Den Mietvertag für Leos neue Wohnung unterschreiben. Ein allerallerletztes Bild von Leo, Sten und mir aufnehmen. Den Schlüssel ins Schloss, um abzuschließen. Das Taxi kommt. Das Taxi beladen. Einsteigen. Tür zu. Abfahrt. Einen letzten Blick auf Leo werfen. Und ENDE. Eines unfassbar großen Abenteuers. Oder ANFANG. In einem sind Sten und ich sicher. Das was vor uns liegt, ist nicht weniger spannend, aufwühlend, neu und überraschend. Auf unserem Weg. Bei unserer Heimkehr. Und danach.

Die guten Geister / The good ghosts

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Die guten Geister / The good ghosts

27.12.2015 Phnom Penh / Kambodscha / N11°37’14.5“ E104°55’31.1“

Drei Räucherstäbchen für jeden von uns. Entzündet, um damit die müßigen Geister aus dem Leo zu treiben und den frischen Wind Einzug halten zu lassen. In der Wohnkabine, im Fahrerhaus, unter dem Leo und dann ab mit uns vor das Geisterhäuschen. Das steht in direkter Nachbarschaft zum Leo. Kein Ort könnte uns passender erscheinen. Wir haben unterwegs gelernt, mit den Geistern zu leben. Nun bleibt Leo hier. Umso wichtiger ist, ihn geistertechnisch gut zu versorgen. Wir hoffen das Beste und bitten darum. Hätten wir derartiges vor einem Jahr schon getan? Ich glaube nicht. Uns fehlte jede Beziehung dazu. Das ist nun anders. Wie vieles andere wohl auch. Was genau es sein wird, werden wir erst später merken. Dann, wenn wir heimgekehrt sind. Ich bin echt gespannt, was sein wird. Wie ich empfinden werde, was dann um mich ist. Das spannende Reisen geht definitiv weiter. Dann nämlich, wenn das vormals Vertraute mit dem neu Vertrauten aufeinander treffen. Werden sie sich umarmen? Werden sie sich mögen? Bäumen sie sich auf, um darin das wechselseitige Akzeptieren zu lernen? Uns ist, als führen wir heute los. Auf große Reise. Mit Leo. Der ist fertig gepackt, beräumt, geputzt. Wie ein Schmuckstück sieht er aus. Wenn wir ihn so blinkern sehen. Dass er gute 40.000 Kilometer mit uns auf dem Buckel hat, ist ihm nicht anzusehen. Er schaut erwartungsvoll was nun passiert. Ob er mit bekommt, dass wir ihn ausruhen lassen wollen? Ob er ahnt, hier erst einmal allein zu bleiben? Er ist eben mehr als ein Fahrzeug. Er ist auch mehr aus eine Behausung. Durch das unwegsamste Gelände hat er uns sicher geführt. Nicht selten waren wir froh, seine Tür hinter uns zu schließen. Haben uns in ihm wohl gefühlt, wenn es draußen klirrend kalt war. Waren gut aufgehoben, wenn die Hitze und Mücken der Nacht um uns summten. Zu einer kleinen Gemeinschaft sind wir geworden, wir drei. Weil wir uns brauchten und einander Nähe schenkten.

Die guten Geister sind mit uns. Da bin ich sicher. Sie bleiben bei Leo und sie reisen weiter. Mit uns. Wohin auch immer.  

Phom Penh / Kambodscha N11°37’14.5“ E104°55’31.1“

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Haushaltstag am Mekong / Working day near Mekong river

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Haushaltstag am Mekong / Working day near Mekong river

26.12.2015 Phnom Penh / Kambodscha / N11°37’14.5“ E104°55’31.1“

Ich bin mir sicher. So sehr wie heute habe ich noch nie in meinem ganzen Leben geschwitzt. Mir läuft das Wasser in Rinnsalen den Körper entlang. Während ich ein Fach nach dem anderen ausräume, säubere, ausmiste und den Rest wieder einräume. Die Luft steht im Leo, kein Windhauch wagt sich hier rein. Wenn ich Wind wäre und das hier sähe, bliebe ich auch lieber draußen. Die Stunden verfliegen wie Minuten und das Durcheinander nimmt eher zu denn ab. Zwei Tage Zeit haben wir, um den Leo von allen Seiten zu reinigen, zu präparieren und aufzuräumen. Eigentlich nicht viel Platz, den wir da haben. Dürfte also gar nicht lange dauern. Hm, war so ne fixe Idee. Von wegen wenig und schnell. Das zieht sich. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Ich arbeite mich von Fahrerhaus, über die Kühlschränke, dem Bad, unserer Schlafnische, den Küchenschränken, langsam in unseren Wohnraum vor. Ganz schön viele Räume, die wir da haben. Leo ist echt ein Raumwunder. Doch das Verrückte ist. Es macht mir Spaß. Mit schwarz gesprengeltem Gesicht, vom aufgewirbelten Staub der Druckluftdüse, in unserer Fahrerkabine mit Eimer und Lappen umherzugrauchen. Irgendwie ist diese Aktion für mich ein wichtiger Teil unseres Unterwegsseins. Es rundet das Gewesene ab. Setzt nen Punkt. Oder besser ein Ausrufezeichen ans Ende eines megalangen Schachtelsatzes. Der sich über dreihundertfünfundsechzig Tage dahin sagte. Heute ist der 26. Dezember. Zweiter Weihnachtsfeiertag. Bilder der erlesensten Menüs aus der Heimat erreichen uns von unseren Freunden. Ach, na klar. Jetzt merk ich es auch. Das ist gar kein Schweiß, der mir da am Körper herunter fließt. Das ist das Wasser in meinem Mund, welches sich sammelt, beim Empfangen der leckeren Köstlichkeitsfotos. Es sieht noch aus wie bei „Hempels unter dem Sofa“. Und trotzdem sagt uns die Dunkelheit, dass es Zeit ist, Pause zu machen. Also, Dusche am Leo angeschlossen, eingeseift, abgebraust. Minuten später stehen zwei vollkommen neue Gestalten vor uns.

Phom Penh / Kambodscha N11°37’14.5“ E104°55’31.1“

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So sauber und wohl riechend. Geeignet, um mit den beiden den Schritt in ein Restaurant zu wagen. Wir finden es auf der anderen Straßenseite. Da rüber zu kommen ist ein Geduldspiel. Es braucht Taktik, Schnelligkeit und Spontanität. Eigenschaften, die wir nach zwölf Stunden Werkeln nicht mehr wirklich unser eigen nennen. Doch wir kommen auf irgendeine Weise durch den Verkehr und finden uns in mitten der Einheimischen in einem Restaurant am Mekong wieder. Leo hat es mal gut getroffen, meine ich. Auf die Frage: „Wo warst du die letzten Monate?“ kann er später antworten: „Ich stand am Mekong und habe auf das Wasser geschaut.“.
Für uns gibt es am Tisch gebratene Garnelen und Tintenfischstreifen. Angemessenes Ende unseres Haushaltstags.

Leo schäumt / Leo foams

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Leo schäumt / Leo foams

25.12.2015 Phnom Penh / Kambodscha / N11°37’14.5“ E104°55’31.1“

Zweihundertfünfzig Kilometer Strecke. Und jeder einzelne Meter, als führen wir die Parade ab. Alle sind noch einmal gekommen. Um mit Wink-Elementen aller Art unserem Langzeitgedächtnis auf die Sprünge zu helfen. Die blau-weiß berockt und beblusten Kinder, als sie aus der Schule kommen und den Straßenrand säumen. Die Soldaten, die es sich nicht nehmen lassen, bei 33 Grad in voller Montur eine Kostprobe ihrer Tarnkünste abzugeben. Die Frau mit ihrem Zuckerrohr-Saftstand. Sie schwenkt uns mit dem frisch Gepressten hinterher. Selbst die Akrobatikgruppe kommt noch mal vorbei. Und zeigt einen Akt aus dem Stück „Fahrzeugüberladung leicht gemacht“. Auf dass sich die Bilder tief in uns eingraben und einen Tanz der Synapsen vollführen. Als ob sie das nicht schon längst täten. Ganz zerfurcht fühlt sich mein Kopf von innen an. In jeder Windung sitzt ein Miniereignis der letzten zwölf Monate fest. Wir klatschen und winken, werfen Blumen in die Luft und Bonbons. Gefühlt. Im Innen. Außen sitzen wir da, schauen still dem Treiben zu. Geben der Wehmut nicht mehr Raum als unbedingt nötig. Etwas für uns sehr Großes ist in die letzte Bahn eingelaufen. Setzt an zur letzten Hürde mit Wassergraben. Doch davor stoppen wir noch mal. Es ist zwölf Uhr. Am 25. Dezember. Genau vor einem Jahr haben wir verhalten gerufen „Leinen los“. Unsere Nachbarn begleiteten uns und Paula auch. Auf unseren ersten Metern in die große Unbekannte. Winkend standen sie erst vor uns, dann neben uns. Schlussendlich hinter uns. Kein Gänsebraten wartete auf uns. Wir hatten keine Ahnung, was gekocht würde. Um von uns ausgelöffelt zu werden. Dieses flaue Gefühl in meiner Magengrube soll ein Jahr her sein? Ich kann es nicht fassen, nicht greifen, noch weniger begreifen. Ich mag tiefes Fühlen. Doch manchmal geht es mir damit echt zu weit. Mit der ganzen Sentimentalität. Dann ist es herrlich, Praktisches zu denken. Gedacht. Getan. Geniale Massagen sind in den vergangenen Wochen über meinen Rücken hinweg gewandert. Warum nicht Leo auch mal eine angedeihen lassen? Ein frisch eröffneter Laden kommt uns da gerade recht. Der Beton ist noch nicht ausgehärtet. Doch wir sollen es einfach probieren. Sagt der Chef.

Phom Penh / Kambodscha N11°37’14.5“ E104°55’31.1“

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Im Zweifelsfall hinterlassen wir wieder einmal tiefe Furchen. Wäre nicht das erste Mal. Doch wir sind Glücksbringer, als erste Kunden. Also los. Einmal Maniküre / Pediküre für Leo bitte. Er kichert, windet sich und lacht, so sehr kitzeln ihn Wasserstrahl, Seifenschaum und Feudel-Lappen. Doch er genießt es ganz augenscheinlich. Am Ende steht er mit frisch lackierten Fingernägeln, äh, frisch polierten Reifen, vor uns und sieht aus wie neu. Einundvierzigtausendsechshundertdreiundsiebzig in Zahlen 4-1-6-7-3 Kilometer weit hat er uns in diesem Jahr gebracht. Am 25. Dezember 2014 sind wir mittags um zwölf in Jena gestartet. Am 25. Dezember 2015 um achtzehn Uhr kambodschanischer und eben erneut zwölf Uhr mitteleuropäischer Zeit, erreichen wir unseren Endpunkt mit Leo. Kann das bitteschön ein Zufall sein? Da kann man doch nur schäumen. Und das nicht nur vom Seifenschaum.

Frohe Weihnacht / Merry Christmas

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Frohe Weihnacht / Merry Christmas

24.12.2015 Sihanoukville / Kambodscha / N10°34’03.1“ E103°33’15.9“

Kein Weihnachtstrubel. Keinen Truthahn braten. Keinen Baum schmücken. Keine Geschenke einpacken. Kein runter kommen vom Rennen. Kein Truthahnmahl in Familie genießen. Nicht gemeinsam unter dem kerzenerleuchteten Baum sitzen. Keine Geschenke geben und empfangen. Doch Laufen am Meer, bei Sonnenuntergang. Doch die nackten Füße in warmen Sand verschwinden lassen. Doch versonnen einen Cocktail schlürfen. Doch darüber nachsinnen was in den vergangen Monaten mit mir geschah. Doch auch stolz sein, alle die Abenteuer, Mutproben und Selbstüberwindungen bestanden zu haben. Doch in der Strandbar sitzen und in aller Ruhe Pasta mit Garnelen auf die Gabel drehen. Doch liebe Grüße von zu Hause empfangen. Doch gemeinsam mit Sten, unsere Rotweingläser klingen lassen und uns zulächeln. Doch bei der Gitarrenmusik eines Italieners den Gedanken nachhängen. Doch dem Vollmond zublinzeln, während er uns den Weg zum Leo heimleuchtet. Weihnachten in Kambodscha. Ein besonderer Tag in einem speziellen Jahr. Ich lasse ihn in seiner Einzigartigkeit stehen. Es passt. So wie es ist. Wir feiern „unser“ Fest in einer fremden Welt. Lehnen uns an den Glauben, unter dem wir geboren wurden. Er ist ein Stück meiner Identität. Hier draußen für mich ganz klar spürbar. Andere Religionen haben wir gestreift. Unterwegs. Ich denke sie mit. Weil letztlich, so meine ich, jeder pure, reine Funke des Glaubens ein und derselbe ist. Egal wo. Egal unter welchem Namen er zu Tage tritt. Es geht in meinen Augen um nie versiegende Hoffnung, friedfertige Gemeinschaft, das Bitten um Abwenden von Unheil, den Wunsch nach Unterstützung und Beistand, das Gestalten menschenfreundlicher Werte, das Halten und Gehalten werden. Mein Glaube ist, dass uns der Glaube hilft, die Kraft und die Zuversicht, den Halt, die Tiefe und Liebe in uns selbst zu entdecken. Dann sind wir Spiegelfläche unserer eigenen Werte und Haltungen. Dann verteilen wir, was wir uns selbst am meisten wünschen. Ich habe unterwegs verschiedenste Bräuche und Riten kennen gelernt. Das Trommeln der Schamanen, spüre ich. Das Beten der Muslime, höre ich. Das Fleisch der Toten den Vögeln übergebend, erinnere ich. Das Gebetsmühlendrehen der Buddhisten, sehe ich. Die Schutz-Blumenketten, rieche ich.
Für mich ist Glaube etwas Verbindendes. Überall auf der Welt.
Frohe Weihnacht.

Sihanoukville / Kambodscha N10°34’03.1“ E103°33’15.9“

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Elftes Level / Level number eleven

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Elftes Level / Level number eleven

23.12.2015 Sihanoukville / Kambodscha / N10°34’03.1“ E103°33’15.9“

Was haben die Menschen nur getan, als es noch keine Smart Phones gab? Haben sie sich miteinander unterhalten? Oder Kreuzworträtsel gelöst? Haben sie in den Himmel gesehen und vor sich hin geträumt? Ob das was an unseren Geninformationen verändert, wenn nun die halbe Welt in ihr Telefon starrt und tippt, damit spielt und im Internet surft? Da ist der Mann an der kambodschanischen Grenze. Kleine Blechhütte, von Sonne beschienen. Drinnen ist es duster. Licht fällt durch ein kleines Fenster und die Spalten der wackeligen Baukonstruktion. Eine Klimaanlage macht den Raum zum Kühlschrank. Zwei Holztische stehen da. In T-Form aneinander gerückt. Drei Stühle daran. Drei Männer darauf. Alle in Uniform. Jeder mit Orden schwerem Brustbehang. Sie haben was zu sagen. So viel steht fest. Es scheint mir, einmal hierher geschafft, ist es ein Job auf Lebenszeit. Da geht es nicht um Visavorgänge. Da sind die Level am Smart Phone entscheidend. Das sieht dann so aus. Wir treten ein. Drei versunkene Gesichter blicken kurz auf. Einer macht eine minimale Handbewegung zum Ersten. An den sollen wir uns also wenden. Doch der hat gerade ein Level verhauen, auf seinem Spiel im Telefon. Ein lauter Ton des Verlierens und Bedauerns hallt unüberhörbar durch den kleinen Raum. Entsprechend schlecht gelaunt schaut er zu uns hoch. Wir wollen nur schnell unser Visum bezahlen. Dann sind wir auch schon weg. Wenn es denn so einfach wäre... Der Beamte murmelt unverständliche Zahlen in sein Telefon. Das war wohl der Betrag, den wir zu zahlen haben. Doch verstehen, das ging leider nicht. Zweiter Versuch, das Level zu meistern. Wir warten ab, ob es diesmal klappt. Mit dem Level und dann auch mit dem Bezahlen. Mist, wieder nicht geschafft. Dabei ist er schon beim elften Level. Wir bemitleiden ihn und tun das auch kund. Woraufhin er uns sein Problem zeigt. Diffizile Unterschiede an zwei Apfelbäumen muss er herausfinden, um weiter zu kommen. Nun, vielleicht reicht einfach die Auflösung seines Smart Phones nicht aus, um die noch zu finden? Der Beamte ist froh darüber, dass wir sein Leid teilen und nun auch bereit, uns den zu zahlenden Betrag verständlich zu nennen.

Sihanoukville / Kambodscha N10°34’03.1“ E103°33’15.9“

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Innerhalb zweier Monate gab es ne saftige Erhöhung. Als wir vor acht Wochen von Laos aus nach Kambodscha einreisten, zahlten wir noch dreiundzwanzig Dollar pro Person, nun sind es Siebenunddreißig. Na ja, das Gouverment... Wir haben Verständnis und zahlen. Die anderen zwei Herren ebenfalls. Mit der Situation ihres verlierenden Kollegen. Sie nehmen ihm die Arbeit ab, damit er weiter probieren kann, sein elftes Level zu knacken. Vor der Tür sollten eigentlich unsere Visaformulare bearbeitet werden. Doch auch hier sitzen zwei Männer an nem kleinen Tisch im Schatten eines Baumes und tippen auf ihren Telefonen herum. Wir sollen warten, erklärt uns eine nebenbei Handbewegung. Was ist nur los in unserer Welt? Was haben die Smart Phones, was menschliche Begegnungen offensichtlich nicht leisten können? Selbst später in der Dunkelheit der Nacht, hört das Phänomen nicht auf. Es regnet in Strömen. Wir sehen so gut wie nichts. Das Wasser nimmt dem abgeblendeten Scheinwerfer das letzte bisschen Leuchtkraft. Ich konzentriere mich mit allen Sinnen, um zu sehen, was auf der Straße los ist. Um Sten zu warnen und jede Menschengruppe rechtzeitig zu sehen, die mitten auf der Straße läuft. Die Kuhfamilien, die es auf dem Asphalt am kuscheligsten finden und die Hunde, die immer noch schnell die Seite wechseln müssen, da sie dort wohl eine Leckerei erschnüffelt haben. Da taucht doch tatsächlich ein kleines Lichtlein auf. Drum herum erkenne ich einen stoppenden Mopedfahrer, der auf sein beleuchtetes Smart Phone schaut. Bei strömendem Regen. Ein anderer hält beim Fahren in der Lenkerhand ne kleine Taschenlampe als Beleuchtung. Die andere ist ans Ohr gedrückt, mit Telefon dazwischen. Was der noch hört ist mir ein Rätsel. Beim Rauschen des Regens, dem Knattern seines Mopeds und unserem vorbei donnernden Leo-Geräusch. Wir Menschen sind echt wundersame Gestalten. Ich mag den Fortschritt, den die mobile Kommunikation uns gebracht hat. Über weite Entfernungen Verbindung aufnehmen zu können und zu halten. Entlegene Ecken der Welt miteinander zu verknüpfen. Doch die Stilblüten, die diese Entwicklung treibt, ist mir mehr als einen Gedanken wert. Bin gespannt, wohin unsere Welt die Reise auf den Smart Phones in Zukunft führt. Ob uns ein drittes Ohr wächst, fünf zusätzliche Finger, oder gleich ein neuer Arm?

Brief Nummer 13 / Letter number 13

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Brief Nummer 13 / Letter number 13

23.11.2015 Koh Kong / Kambodscha / N11°36’19.2“ E103°02’46.1“

Kambodscha. Du. Von Dir kannte ich ehrlich gesagt nicht mehr als Deinen Namen. Ich hätte nicht einmal genau sagen können, wo Du liegst. Das ist nicht Deine Schuld. Es ist meine Gedankenverlorenheit Dingen gegenüber, mit denen mich nichts direkt verbindet. Du warst ein Punkt auf der Liste unserer Reiseroute. Doch emotional hat sich bei mir nichts getan, wenn ich sagte: „Wir fahren dann irgendwann auch nach Kambodscha.“ Ich möchte Dich damit nicht beleidigen, ich sage nur, wie es für mich war. Wenn ich etwas mit Deinem Namen in Verbindung gebracht habe, dann waren es Regen, Sommerstürme, Moskitos und Armut. Nicht unbedingt DIE anziehende Mischung. Ach ja, dass Du nah bei Vietnam wohnen musst. Das dachte ich mir. Da ich Deinen Namen in Filmen über den Vietnamkrieg manchmal hörte. Nicht viel an Erwartung also, was ich da mit mir führte, auf dem Weg zu Dir. Doch komplett weiß war mein Bild von Dir eben auch nicht. Ein paar matschgraue Kleckse saßen fett darauf. Und dann kamst Du. Ich ging auch. Wir liefen aufeinander zu. Eine stolze Person, der Rücken ganz gerade. Deine braunen Augen weit geöffnet. Dein Blick ganz ruhig. Und Dein Gang! Dein Gang so ausgewogen, ohne Eile. Dein Gesicht, gezeichnet von Deinem Leben. Das macht es schön. Du bist nicht hübsch im Sinne aller Ebenmäßigkeit. Deine Schönheit sind die gelebten Jahre. Ich mag Menschen die mir etwas zu sagen haben, weil sie von selbst Erfahrenem sprechen. In Deiner Gegenwart werde ich ruhig. Ich kann mich zu Dir setzen und einfach hören, was Du von Dir gibst. Du bist ein Königreich, mit einem König. Norodom Sihamoni heißt er. Ein ehemaliger Ballett Tänzer. Du bist religiös gesehen eine bunte Mischung. Buddhistisch-Islamisch-Atheistisch. Ich mag die orange betuchten Mönche, wenn sie aus ihren Tempeln gelaufen kommen. Ich finde es schön, wie es Dir offensichtlich gut gelingt, die Religionen miteinander leben zu lassen. Du bist der Sommer in meinen Augen. Von Wärme gedrängt in allen Himmelsrichtungen.

Koh Kong / Kambodscha N11°36’19.2“E103°02’46.1“

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Du tauchst Deine Hände in den Mekong. Du berührst mit Deinen Füßen das Meer. In Deinem Herzen trägst Du den Tonlé Sap. Den See, der zu atmen scheint, wenn ich mir bewusst mache, auf welche Größe er anschwillt in der Regenzeit. Den Monaten seines Einatmens. Und wie er sich ausatmend auf sein Ursprungsbett besinnt in den Wochen danach. Wasser scheint Dein Element zu sein. Und Kinder. Überall sehe ich sie umher springen. Sie haben Deine schönen Augen, Dein klares unverstelltes Lachen. Die Kinder sind wie ein großes Hoffen. Ich wünsche ihnen, dass sich die friedlichen Jahre fortsetzen. Dass sie helfen können, die Narben verheilen zu lassen, die Du trägst. Du bist gespickt mit Minen. Trägst schwer an Deinem Erbe. Noch lange nicht sind alle Minen entschärft. Noch immer fallen unglaublich viele Menschen dieser gemeinen Hinterhältigkeit zum Opfer. Ich sehe Dir die Trauer darüber an. Aber auch den Mut, Dich davon nicht unter kriegen zu lassen. Deine lange Geschichte ist wechselhaft. Von stolzer Blüte in den Hochzeiten von Angkor bis zur abgrundtiefen Hässlichkeit während des Bürgerkriegs in den Jahren der Roten Khmer. Alles hat seine Spuren in Deinem Wesen hinterlassen. Sie schenken Dir eine Weisheit, wie ich sie der Welt momentan wünsche. Kambodscha. Dumm bin ich gekommen. Doch mit genügend Offenheit, um mich auf Dich einlassen zu können. Reich beschenkt gehe ich heute. Mein Schritt tut es Deiner beschwingten Gangart gleich. Danke für Dein Geschenk der Leichtigkeit, die durch Dein hartes Schicksal seinen eigentlichen Wert erfährt.

Der Kuss / The kiss

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Der Kuss / The kiss

22.11.2015 Sihanoukville / Kambodscha / N10°34’03.1“ E103°33’15.8“

Sie läuft in die Dunkelheit davon, dreht sich plötzlich um, kommt zurück und küsst mich spontan auf die Wange. Um gleich darauf mit ihren Brüdern zu verschwinden. Ihr langer Pferdeschwanz wippt hinterher, im Licht der Fackel ihrer Brüder. Die halten einen brennenden Ast und leuchten ihrer großen Schwester den Weg. Wir stehen mit unserem Leo am Strand. Rechts der Weg, der ins nächste Dorf führt, links das Meer, dazwischen ein Streifen weißen Sandes und wir. Einen Steinwurf weit von uns entfernt sind Hütten am Ufer. Die Dächer aus großen Flickenfolien, das „Haus“ ein hölzernes Gestänge. Drum herum tummelt sich die Familie. Die Frage nach der Anzahl unserer Kinder verfolgt uns entlang der ganzen Reise. Doch hier in Südostasien scheint die Zahl der Kinder DAS große Ding überhaupt zu sein. Eine Art Überlebensstrategie. Altersvorsorge gibt es nicht. Unterstützung vom Staat in keinster Weise. Jede Familie muss sehen wo sie bleibt. Es ist der Job der Kinder, sich um die Eltern zu kümmern. Eigentlich von Anfang an. Ganz langsam kommen sie näher. Wechselseitig machen sie sich Mut. Stehen in einiger Entfernung und schauen was wir tun. Ganz still. Mit wachen Blicken. Es ist wie ein Spiel. Schauen wir zu ihnen, sehen sie weg. Wenden wir unsere Blicke ab, sind wir wieder der Mittelpunkt ihrer Beobachtung. Stückweise kommen sie heran. Bis sie schließlich um unser Feuer sitzen. Die große Schwester mit ihren Brüdern. Die Jungs sind sofort dabei das Feuer wach zu halten. Von überall her holen sie Palmenblätter und Hölzer. Geschickt stellen sie sich an. Das machen sie nicht zum ersten Mal. Sten ist Feuerwehrmann. Ich, Köchin in der „Sommerküche“. Einem ausgeklappten Brett am Hinterteil vom Leo. Überall wollen die Kids mit anfassen, helfen, etwas ausprobieren. Also Scheler in die Hand und los geht es. So herum wird das nichts. Ah, anders herum geht es besser. Das Mädchen ist schnell. Die Jungs schauen zu. Gurken geschält, Tomaten geviertelt, Zucchini gewürfelt. Ab damit in die Pfanne. Bei der Ananas sind wir es die lernen. Mit einem lustigen Muster aus den Händen unserer neuen Freundin sieht die Ananas nicht nur viel origineller aus. Auf ihre Art hat sie gleich die schwarzen Stachelpunkte entfernt. Gemeinsam gabeln wir unser zusammen Gekochtes und sitzen am Feuer.

Sihanoukville / Kambodscha N10°34’03.1“ E103°33’15.9“

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Die Kinder in Kambodscha haben mit Sicherheit kein einfaches Leben. Von klein an werden sie mit eingeteilt in die Arbeiten der Familie. Werden Hände gebraucht sind sie da. Gemaule scheint hier abgeschafft. So auch jetzt. Wir können uns die Aufgaben gar nicht so schnell ausdenken, wie sie die Kinder schon wieder erledigt haben. Sie sind höflich, haben Feingefühl, spüren, wenn etwas genug ist. Sie traben ab mit braunen Punkten im Gesicht. Die hat ihnen das Nutella Brot auf die Nasen gemalt. Ich habe ein kleines Schatzkästchen im Gesicht. Darin der stürmisch innige Kuss meiner kleinen Freundin.

Urlaub / Vacation

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Urlaub / Vacation

21.11.2015 Sihanoukville / Kambodscha / N10°34’03.1“ E103°33’15.8“

Reisen ist Reisen und Urlaub ist Urlaub. Außer dem Buchstaben „R“ in beiden Worten, haben die Begriffe wenig gemein miteinander. Finde ich. Das haben wir von Anfang an gespürt. Wir machten uns nicht auf in „ein Jahr Urlaub“. Wir begaben uns auf eine Reise. Das klingt anders. Das fühlt sich anders an. Das ist anders. Bisher haben wir über all die Jahre hinweg Urlaube gemacht. Mal für eine Woche, mal für zwei. Selten mehr. Ein einziges Mal genehmigten wir uns vier Wochen. Wir fieberten auf unsere Urlaubstage hin. Waren die Tage davor und danach extrem eingespannt. So Vieles lag noch auf dem Schreibtisch, was nach Abarbeitung rief. So ein Haufen hatte sich angesammelt, als wir zurückkamen. Manchmal fragten wir uns, ob es überhaupt Sinn macht, in den Urlaub zu gehen. Wenn doch die Zeit davor und danach so voll gestopft ist, dass der Grad der Erschöpfung steigt und steigt. Doch klar genossen wir die Zeit mit unseren Kindern und auch für uns war es wichtig, ganz für uns zu sein. Die Arbeit fuhr dabei immer auch ein wenig mit. Sie saß im Nacken, manchmal im Magen. Wirkliches Abschalten war selten möglich für mich. Irgendwie war es wie im Leistungssport. Es war gut das Tempo zu halten. Es fühlte sich richtig an, nicht locker zu lassen. Um im Anschluss gleich wieder losrennen zu können. Ohne die Muskeln erst noch erwärmen zu müssen. Mir war klar, dass unsere Reise etwas ganz anderes von mir wollte. Und ich von ihr. Dass eine vollkommen neu Erfahrung auf mich zurollen würde. Die machte mir Angst. Das war so dermaßen anders zu allem bisher von mir Gelebten. Das ließ mich in einen schwarzen Tunnel schauen. Ganze drei Monate brauchte ich, um abzutrainieren. Das ging langsam. Das tat weh. Nicht, dass die Erlebnisse es nicht wert gewesen wären. Doch ich hatte unglaublich mit mir selbst zu tun, um Zugang zu dem zu bekommen, was jetzt war. Um anzukommen wo wir uns nun befanden. Nämlich auf der Reise. Mit uns und zu uns. Heute sitze ich in der Hängematte, schaue auf den Golf von Thailand und lasse den Tag geschehen. Gemessen an dem, was ich in mir selbst an Veränderung wahrnehme, scheint es weitaus länger als elf Monate zurück zu liegen, dass wir die Leinen los machten. Eine Reise ist nicht planbar. Eine Reise wird als „Fortbewegung über eine große Entfernung“ definiert. Bleibt die Frage, wohin wir uns in dem „Fort“ bewegen? Heute kann ich das für mich selbst nicht beantworten.

Sihanoukville / Kambodscha N10°34’03.1“ E103°33’15.9“

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Ich weiß nur so viel. Die Reise geht weiter, auch nach dem Tag unserer Heimkehr. Die Reise mit uns und zu uns. Der Begriff „Urlaub“ stammt vom althochdeutschen Wort „Urloub“ ab, welches seit dem 8. Jahrhundert gebraucht wurde. Es bedeutet „Erlaubnis“. Ein Ritter bat seinen Herren oder die hoch stehende Dame um „Urloub“. Um die Erlaubnis zu gehen. Ich erlaube mir selbst heute einen Tag Urlaub. Denn wo kann man sich am besten von einer Reise erholen? Im Urlaub.

Global / Global

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Global / Global

20.11.2015 Sihanoukville / Kambodscha / N10°34’03.1“ E103°33’15.8“

Es fällt etwas ab von mir. Ich spüre es ganz deutlich. Ungeplante Offenheit macht Spaß. Es tut gut sie zu erleben. Doch ab und an beim Schweben und Schwingen und Balancieren und Springen mal wieder eine Zwischenplattform zu erreichen ist auch ganz nett. Dann kann der Puls sich normalisieren. Ich atme durch, kann ein Picknick machen und schauen, in welche Richtung ich mich als nächstes bewege. Eine solche Plattform haben wir uns heute geschaffen. Wir haben uns entschieden, wie es im ersten nächsten Schritt mit Leo weiter gehen soll. Das setzt einen Punkt von dem aus wir weiter denken können. Wir bekommen ein Gefühl für die nächsten Wochen. Raum genug ihn auszufüllen. Bleibt nach hinten hin ALLES offen, ist es als entweiche die Energie. Wie bei einem tanzenden, kleiner werdenden Luftballon. Selbst das schnalzende Geräusch ist das gleiche. Am Ende liegt er als schlaffes Häufchen in der Ecke. Nun. Wir haben unseren Ballon frisch aufgepustet und gut verschlossen. Auf dass er uns durch die kommenden Tage trägt. Die Strecke zum Meer kennen wir nun. Einige Male haben wir unsere Reifenabdrücke bereits in den Sand des Straßenrandes gedrückt. Und doch sehe ich auf jeder Fahrt neues. Palmenwälder, als stünden sie erst heute hier. Tempelklöster, bei jedem vorbei Kommen ein wenig schöner. Eingewickelt in das Getümmel der wilden Straßen. Die Mönche sind gleichwohl Teil des Bildes. Nicht immerzu in würdevoller Geste. Gern auch Smartphone fixiert als Mitfahrer auf nem Moped sitzend. Die Menschen gehen ihren Leben nach. Unaufgeregt, emsig, in ihren eigenen Rhythmen. Getriebenheit nehme ich nicht wahr. Es ist, als haben die Dinge ihren Platz, die Ereignisse ihren Tag, das Tempo der Entwicklung seinen gemächlichen Fluss. Als erlaube sich das Leben hier ein Vorankommen in gesundem Maß. Keine riesengroße Konsummütze übergestülpt. Kein allzu mächtiges Streben nach dem westlichen Leben. Wie war es doch in den Zeiten, als es noch kein Fernsehen und Internet gab? Die Kulturen lebten in dem Zustand sich selbst überlassen zu sein. Verknüpft mit allem Positiven und Negativem, was nun einmal daran hängt. Ich will das Rad der Entwicklung nicht stoppen. Ich gönne den Menschen wachsenden Wohlstand. Doch genieße es, wenn ich das Gefühl habe, dass sie dabei in Teilen ihre eigenen Wege gehen. In dem für sie passenden Schrittmaß. Und nicht blind die ausgetrampelten Pfade der globalisierten Welt entlang hasten. Eine Illusion? Vielleicht. Doch auf dem Land mein Eindruck.

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Möglichkeiten / Possibilities

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Möglichkeiten / Possibilities

19.11.2015 Phnom Penh / Kambodscha / N11°37’14.5“ E104°55’31.1“

Ein Tag am Meer. Ein Tag in Phnom Penh. Ein Tag am Meer. Ein Tag in Phom Penh. Dazwischen liegen zweihundertzwanzig Kilometer puren kambodschanischen Lebens. Kleine Ortschaften, belebte Straßenränder, gesäumt von Unmengen an Verkaufsständen. Irgendwas Gebratenes, Zuckerrohrsäfte, Hühner, Feinstrumpfhosen, Reis in Bananenblättern, Unterwäsche, Moped Ersatzteile, Matratzen, Schweine, angebrühte Küken, Zigaretten, Gemüse, Meeresfrüchte, Obst, rohes Fleisch mit Fliegen, Undefinierbares, Dosen, Tuben, Pülverchen, Kokosnüsse. Alles, alles gibt es hier. Nicht immer das, wonach mein Magen gerade ruft. Doch ein Experimentarium in jedem Fall. Der Müll ist das Salz in der matschigen Brühe der Tümpel. Eine Art Füllmaterial stellt er dar. In der Lage Unebenheiten zu begradigen, Löcher zu stopfen. Die schwimmenden Einwegverpackungen, kleine Schiffchen für Ratten. Wie es sich lebt, in mitten des Mülls? Ich glaube, die Leute gucken den weg. Schade. Doch was wäre die Lösung? Am Strand sammeln Jungs jede Büchse ein. Wahrscheinlich bekommen sie ein paar Riel dafür und leben davon. Doch was passiert danach mit den Bergen an Dosen und Plastikflaschen? Wir sehen immer wieder, wie sie sich aus dem Staub machen. Erst kommen sie auf nen großen Haufen, um gleich darauf, von einer Wind Böe erfasst, erneut das Weite zu suchen. Auch eine Art von System... Und dann plötzlich das. Ein Metalltor öffnet sich. Ein sauberer großer Platz betritt unsere Augen. Rechts Fahrzeugunterstände, links Außenwerkstattplätze. Geradeaus das Verwaltungsgebäude mit Produktionsabteilung. In mir öffnet sich etwas. Als käme ich an einen mir bekannten Ort. Der Chef des Ganzen, ein Norweger, begrüßt uns lachend. Ein kleines Stück Europa, mitten von Südostasien. Seit einundzwanzig Jahren lebt Finn, der Norweger hier. Anfangs keine leichte Zeit, so kurz nach dem Bürgerkrieg. Hat er sich sein Leben gut eingerichtet. Hier, wo der Wind ihn hintrug. Die Fahrzeug Werkstatt als Vertragspartner und eine Fabrikation für schusssichere Westen und Minensuchsicherheitssysteme sind sein Geschäft. Eine Mischung, die es so vielleicht nur in diesen Teilen der Welt geben kann.

Phom Penh / Kambodscha N11°37’14.5“ E104°55’31.1“

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Ein Tipp hat uns hierher gebracht. Eine Möglichkeit tut sich auf. Seit Wochen überlegen wir, wie es anzustellen wäre, den Leo am Ende des Jahres nach Deutschland zurück zu verschiffen. Das war von Anfang an unser Plan. „Wir fahren bis Singapur und geben den Leo dort auf ein Schiff“. Doch so einfach sich der Satz ausspricht, so simpel ist es nicht, wie wir merken. Ein wenig mehr Zeit kann uns helfen, die beste Variante zu finden. So werfen wir kurz entschlossen das lang Geplante über den Haufen und bleiben einfach noch ein paar Monate länger hier. Hihi, NEIN. Spaß bei Seite. Die Idee ist, die Zeit für Leo etwas aufzuschieben. Für uns bleibt alles beim Alten.
Möglichkeiten. Die Argumente abwägen. Auf das Bauchgefühl hören. „Go with the flow“ Immer wieder.

Begegnung / Meeting

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Begegnung / Meeting

18.11.2015 Sihanoukville / Kambodscha / N10°34’03.1“ E103°33’15.8“

Anton klopft an unsere Tür, um uns zum Frühstücken abzuholen. Gemeinsam laufen wir ins Dorf. Oder besser gesagt, wir schmelzen hin. Um zehn Uhr hat die Sonne ihren Morgensport lange hinter sich und schwitzt nun vor sich hin. Wir schwitzen mit ihr. Rostige Ventilatoren wirbeln die Moskitos des gestrigen Abends durch die Luft. Der Staub mischt sich mit dem Geschmack meines Frucht Shakes. Irgendwie ehrlich, wie hier die Dinge aufeinander treffen, im Café am Straßenrand. Und die Menschen. Manche scheinen, wie wir, zum ersten Mal hier zu sein. Andere weisen sich, leger Schulter klopfend, als Stammgäste aus. Ich bin Zaungast und froh darüber. Ich darf weiter ziehen, um neue Orte zu entdecken. Auch wenn ich mich heute freue zu bleiben. Die Männer an den anderen Tischen, keine Einheimischen und doch seit langem hier, erscheinen mir wie Strandgut. Viel haben sie erlebt. Das ist ihnen anzusehen. Über die Meere des Lebens wurden sie gespült. Nun kullern sie, von jeder neuen Welle dazu angehalten, über den Strand. Hin und her. Hin und her. Im Rhythmus der Gezeiten. Anton scheint wieder einer dieser Menschen zu sein, den uns irgendjemand geschickt hat. Warum kam er genau in dem Moment angefahren, als wir beschlossen zu parken? Warum hielt er gestern vor dem Leo? Warum verwickelte er uns in ein Gespräch? Warum hat er Informationen die für uns wichtig sind und möglicher Weise Einfluss auf den weiteren Verlauf unserer Reise hat, wenn es darum geht, was mit Leo geschieht? An Zufall glaube ich schon lange nicht mehr. Von der Türkei an bis in die Mongolei waren es immer wieder die Einheimischen, mit denen wir zusammen kamen. Die uns einluden. Mit denen wir kochten. In China waren wir durch unsere Gruppe, in der wir fuhren, abgeschirmter. Wir waren mehr mit uns selbst beschäftigt. Damit, uns wechselseitig kennen zu lernen, um Gemeinsames zu unternehmen. In Laos fing es an. In Kambodscha geht es so weiter, dass die Einheimischen unglaublich freundlich und herzlich sind. Doch sich keine direkte Verbindung oder Nähe aufbaut. Sie leben in ihrer Welt. Wir in der unsrigen. Spaß haben wir miteinander, wenn wir gemeinsam Kokosnüsse aufhacken oder gruselige Köstlichkeiten zum Probieren vor unsere Nasen gehalten bekommen. In diesen Wochen sind es andere Reisende, denen wir begegnen.

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Mit denen wir unsere Erlebnisse teilen, mitunter unsere Zeit verbringen. Liegt es daran, dass wir nun weit genug von zu Hause weg sind, so dass das „Heimische“ wieder attraktiv sein kann? Liegt es daran, dass uns durch das Erleben unterwegs viel mit anderen Reisenden verbindet? Anfangs trafen wir keine Reisenden, da es Winter war. Später mieden wir sie, weil uns die Einheimischen weitaus mehr anzogen. Jetzt ist es, als begänne das Verarbeiten des Gewesenen. Wir sind nach wie vor mittendrin und trotzdem schauen wir nun ab und an gern mal nach, was sich in unserem Reise-Körbchen alles angesammelt hat.
Be-Geg-Nung. Aus unterschiedlichen Richtungen kommen wir. In verschiedene Richtungen gehen wir. Dazwischen findet Begegnung statt.

In Balance / In balance

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In Balance / In balance

17.11.2015 Sihanoukville / Kambodscha / N10°34’03.1“ E103°33’15.8“

Der Begriff „Balance“ leitet sich von dem lateinischen „bilancis“, „zwei Waagschalen habend“ ab. „Balance! Balance. Balance?“, scheint es mir heute von überall her entgegen zu tönen. Mal wirkt sie mir geschaffen, an anderer Stelle wie in Gefahr zu sein. Ich finde Orte, an denen ich sie wahrnehme, bewege meine Füße über Böden, deren Thema es ist, Balance zu finden. „Zwei Waagschalen haltend“, spricht ja irgendwie von Gegensätzlichem. Gewicht, welches an sich gegenüberliegenden Polen ansetzt. Kräfte, die scheinbar gegeneinander wirken, spielen doch zusammen und ergeben erst im Miteinander ihrer Unterschiedlichkeit Ausgleich. Laut braucht offensichtlich leise. Hell das Dunkel. Gemeinsamkeit, Einsamkeit. Lachen das Weinen. Die Ferne das Nahe. Braucht die Liebe den Hass und der Frieden gar das Kriegerische? Ist es, damit wir uns selbst spüren? Damit wir wertschätzen wenn etwas gut ist? Erst vor ein paar Tagen sagte ein Freund scheinbar beiläufig: „Nach unseren Kilometern der allerschlechtesten Piste kann ich jetzt die glatte Straße schätzen. Sonst wäre sie mir gar nicht aufgefallen. Ich hätte sie als normal hingenommen.“ Braucht das vermeintlich Gute das vermeintlich Böse? Sind wir so schlecht im Erinnern, dass wir die Gegensatz Paare permanent beieinander brauchen, um uns ihrer gewahr zu werden? Was ist mit dem Gedächtnis der Generationen? Gibt es das einfach nicht? Sondern jeder, jeder, jeder, muss erneut am eigenen Körper erfahren was die Gegensatz Paare sind. Mitunter immer wieder. Mitunter ein Leben lang. Balance. Der Mann auf seinem Motorrad braucht sie, um mit seinem übervollen „Blechtopf-Mobil“ nicht scheppernd im Straßengraben zu landen. Er bewegt seinen Körper fast unmerklich ausgleichend nach Rechts und Links. Der überladene Transporter, bei dem die offene Heckklappe Säcke, Kisten, Bündel und ein Moped zeigt, wohlgemerkt außerhalb des Fahrzeugs, hat in der Fahrerkabine vorn wahrscheinlich drei Sumo-Ringer sitzen. Andernfalls flöge das Gefährt bei DER Heck-Last ja automatisch gen Himmel. Was ist mit mir? Was an mir ist momentan der Sumo-Ringer und was das heraushängende Moped? An jedem Tag fühle ich mich in diesen Wochen erneut dazu angehalten, meine innere Balance herzustellen, sie zu pflegen und zu genießen. Wie dankbar bin ich heute der Tempelanlage mit seiner friedvollen Atmosphäre. Sie strahlt aus. Sie strahlt auf uns ab.

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Es ist eine Baustelle, auf der wir uns bewegen. „Innere Mitte im Bau“ sozusagen. Und doch ist der Ort schon heute voller Kraft und Energie. Die Buddha-Statuen, ob liegend, stehend, sitzend, oder erst unter den Händen der Steinmetze entstehend, tragen die Balance und innere Ausgewogenheit auf ihren Gesichtern. Ich frage mich nur, was die Gegensatz Paare bei jeder der einzelnen Buddha Darstellungen sind. Ist es immer das Gleiche? Mit dem jeder von uns sich herum schlägt? Ich würde so gern reden mit den in Stein geschlagenen Symbolen des inneren Friedens. Doch sie zeigen mir nur das Resultat ihres Tuns. Nicht die Elemente, die Themen, die Fragen, die Gedanken, die sie in den beiden gegensätzlichen Waagschalen halten. Ich gehe meinen Weg. Ich begegne mir selbst auf Schritt und Tritt. Ganz besonders intensiv in diesen Tagen, in denen es mir nicht leicht fällt, die Nachrichten von zu Hause, aus Europa, mit meinem Erleben hier in Südostasien irgendwie zueinander zu führen und gleichzeitig Abstand zu halten. Das Gehörte nicht zu nah an mich heran lassend. Um denen keinen Vorschub zu leisten, deren Ziel es ist, mich zu ängstigen. Die innere Auseinandersetzung ist mein Balance Akt. Die Themen kommen zu uns oder wir kommen zu den Themen. Auf alle Fälle sind sie da, wenn wir offen für sie sind. Scheinbar zufällig beginnt Anton aus Seattle am Abend davon zu sprechen, dass es ihm bei seinem unterwegs Sein darum geht, in spiritueller, physischer und mentaler Balance zu sein. In allem was er tut, schaut er, die Ausgewogenheit für sich zu erlangen. Warum fängt er an davon zu reden? Hat er meine Gedanken gelesen? Ist nicht genau das mein Thema in diesen Tagen? Es ist. Balance? Balance. Balance!

Montagsgesicht / Face of Monday

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Montagsgesicht / Face of Monday

16.11.2015 Phnom Penh / Kambodscha / N11°37’14.5“ E104°55’31.1“

Erst einmal ist jeder Tag einfach ein Tag. Er hat einen Namen. Der heutige zum Beispiel heißt Montag. Und ein paar Zahlen, die ihn näher bestimmen. Wir nennen es das Datum. Sechzehnter Elfter Zweitausendfünfzehn. Was in dem Tag steckt ist damit noch nicht gesagt. Wir können, je nach Region, ablesen, ob es eher ein kühler Tag werden wird, wie im November in Deutschland normal, oder ein Schwülwarmer, wie es für kambodschanische Novembertage üblich ist. Wenn der Tag „Montag“ heißt, mögen wir ihn manchmal nicht so sehr. Sonntage leben da eher in dem Ruf gemocht zu werden. Nun, in den vergangenen Monaten haben sich alle Montage mit mir gefreut. Jeder war mir lieb. Jeder Tag hatte die gleiche Chance besonders zu werden. Wir geben dem Tag die Inhalte. Er überrascht uns mit seinen Zufälligkeiten. So bekommt er Kontur, fast als trüge er ein Gesicht. Bleibt die Frage, wie jeder von uns diesen Montag zeichnen würde? Mein Montagsgesicht hat androgyne Züge. Er heißt „der“ und ist auch „sie“. Ein wenig traurig schaut er, weil Götz heute abfliegt. Und Abschiede immer etwas Endgültiges haben. Sie beenden eine Phase. Schöne wie aufregende, wie schwierige. Setzen einen Punkt. Unsere Zeit war leicht und fließend. So ist der Blick meines Montags auch selig schmunzelnd. Der letzten zwei Wochen erinnernd. Falten sehe ich auf seiner Stirn. Ein paar. Sie geben den Zügen Reife und Tiefe. Ernsthaftigkeit huscht darüber, wenn er an das denkt, was er von Europa so alles hört. Er beschließt, es nicht so sehr an sich heran zu lassen. Er will ganz und gar hier sein. Denn nur das kann er wirklich erleben und in Teilen mit beeinflussen. Alles andere sind ernsthafte Geschehnisse. Ja, unbedingt. Aber auch viel kalkuliertes mediales Geschwafel mit teilweise riesengroßen schwerwiegenden Worten. Mein Montag verfällt am Morgen in die Schwermut der fernen Ereignisse und entscheidet sich dann doch für die Wahrnehmung um ihn herum. Das Ferne fern sein lassend. Das sehend, was vor seiner Nase auftaucht. Die Haare meines Montags sind länger. Sie sind wirr und wild, flattern umher. Ich sehe in ihnen Unmengen an Straßengeschäften, Werkstätten, Garküchen, fliegende Händler. Dazwischen toben haufenweise Menschen herum, kurven Mopeds durch die Gegend, hebt auch ein Flugzeug ab. Das ist der Flieger von Götz, der heute seine Schritte gen Heimat lenkt.

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Wir stehen winkend am Eingang des Flughafengebäudes und bleiben noch immer. Obwohl er nun bereits das zweite Mal abfliegt. Der Flieger MIT Götz und OHNE Sten und mich. Unser Montag hat anderes vor. Er führt uns nach Phnom Penh. Mit zwei Millionen anderen teilen wir uns den Weg. Im Gesicht vom Montag sehe ich Gelassenheit. Genau so wie in denen um uns herum. Die Straßen sind voll. Und doch strengt uns das Durchfahren der Stadt weniger an als in anderen Ländern. Bei aller Enge, trotz allem Hin und Her, nehmen die Leute Rücksicht aufeinander, halten an, gewähren Vorfahrt. Trotzdem ist es ne heiße Kiste, durch den Innenstadtverkehr Phnom Penhs zu zuckeln. So extrem dicht kreuzen die Mopeds, beladen mit allem was geht, wenige Zentimeter vor unserem Leo. Sämtliche Schutzengel sind im Einsatz. Gebraucht wird jeder Flügel. Gebräunt ist das Gesicht meines Montags. Sein Leben findet fast ausschließlich im Freien statt. Der sonnenbeschienene Himmel ist seine Zimmerdecke. Rückzug in abgeschlossene Räume kennt er kaum. Selbst seine Hängematte hängt er lieber von Pfeiler zu Mast, als dass er im stickigen Dunkel seine Nacht verbrächte. Er legt sich zur Ruhe. Zufrieden mit dem, was aus ihm heute geworden ist. Am Morgen war ihm lediglich der Stempel „Abflug“ aufgeprägt. Doch die Vielfalt hat sich wie von selbst in sein Gesicht gewoben. So sah mein Montag aus. Und Deiner?

Von den Dingen / About the things

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Von den Dingen / About the things

15.11.2015 Sihanoukville / Kambodscha / N10°34’03.1“ E103°33’15.8“

Wir putzen unsere Zähne. Sten putzt den Leo, dann sich selbst. Zwei Monteure fanden sich, mit ihm gemeinsam den Stoßdämpfer des Fahrerhauses zu reparierten. Nun wippt er wieder sanft, ohne sich durchschlagend auf meinen Rücken zu übertragen. Der Stoßdämpfer. Gutes Gefühl. Frühstück hier, vor den Augen aller, oder an einem unbesehenem Ort? Wir ziehen die Variante der abgewendeten Augenpaare vor. Manchmal setzen wir uns einfach hin, fangen an zu essen und versuchen auszublenden, dass so Viele um uns herum stehen. Wir teilen, geben ab, lassen probieren. Doch es gibt Tage, an denen wünschen wir uns ein wenig Abgeschiedenheit. Einer von denen ist heute. Also starten wir den Motor, legen den Vorwärtsgang ein, nicht ohne eine Taschenlampe, ein Messerchen und praktische Kleinigkeiten verschenkt zu haben und fahren winkend ab. Weiter, weiter, der Meerlinie entlang. Noch immer auf der Suche nach UNSEREM Stück Strand. Sechzig Kilometer um zu Frühstücken. Eine Distanz die meinen Blutzuckerspiegel in rauschende Abgründe fallen lässt. Das stört die Bedienung wenig. Wir haben es gefunden. Das Meer. Das Ufer. Das kleine Strandrestaurant. „Trink!“, ruft die Neigung der Liegestühle. Doch wir warten geduldig auf die georderte Großportion an gegrillten Garnelen. „Geduld, Geduld“, versuche ich meinem Magen meditativ zu verklickern. Um uns herum die Jugend aus Phnom Penh, auf Wochenendtour, oder Sihanoukville. In jedem Fall schlägt international üblicher, städtischer Stil die ärmliche Bedürftigkeit der umliegenden Dörfer. Casinos soll es hier geben. Mit allem was dazu gehört. Für ein Essen okay, doch zum Bleiben nicht unser Ort. Ein Geheimtipp spült uns aus der Stadt, um zu sehen, wie geheim der Tipp ist. Im ganzen Land wird von diesem einen ruhigen Strand gesprochen. Dann werden wir bestimmt die Einzigen dort sein...
Überrascht bin ich, als ich so gut wie nur Einheimische sehe. Die Frauen gehen alle mit Kleidern ins Wasser. Die Männer in knapper Badehose. Was heißt das für mich? Den wenigen Europäerinnen anschließen und im Bikini ins Meer oder der hiesigen Kleiderordnung folgend mit Kleid ins Wasser gehen?

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Ich mag es, mich den Gepflogenheiten der Länder anzuschließen und weniger meinen eigenen Gewohnheiten zu folgen. Ich entscheide mich für Kleid am Nachmittag und Bikini am Morgen. Dann wenn sich noch keine überraschten Männer-und Frauen-Blicke der Einheimischen an mich heften. Bikiniwetter begleitet uns seit Monaten. Die Winterklamotten halten Sommerschlaf. Brauchen werden wir sie erst in Deutschland wieder. Unser Plan ist es, Leo nach Hause zu verschiffen. Offen ist, wann genau und von wo aus. Klar wiederum ist, dass die uns wichtigen Sachen draußen sein sollten. Wollen wir sie wirklich wieder sehen. Zu viele Berichte erzählen von ausgeräumten Fahrzeugen. Zeitvertreib der Hafenarbeiter beim Umladen. Ich weiß es nicht besser. So wählen wir den unaufgeregten Weg und räumen selbst aus, was Wichtig erscheint. Götz ist unsere Brieftaube. Er wird, unseren vollen Koffer im Schnabel, zurück fliegen. Eine eigenwillige Vorstellung. Die uns begleitenden Dinge sind dann zu Hause und wir noch immer unterwegs. Ob sie es genießen, oder traurig sind? Nun, sie können sich ausruhen. Über das Erlebte im Stillen sinnieren, nach hallen, sacken lassen. Darüber sprechen, während dem wir noch immer reisen. Ich erschrecke. Im Augenwinkel der Dunkelheit nehme ich direkt hinter Sten einen Menschen wahr. Vollkommen unbewegt steht er da. Der Mann mit dem starren Blick. Er fixiert uns, sieht, was auch immer. Es bleibt uns ein Rätsel. Als stecke ein wirrer Geist in ihm, so zucken seine dürren Glieder. Wir geben ihm zu Essen, zu Trinken. Er greift gierig nach Allem. Verschwindet tonlos, erscheint wieder klanglos. Mir ist er unheimlich. Ich fühle mich unwohl im Nichtahnen, was in ihm vorgeht. Mal lacht er laut, als empfänge er von irgendwo die Worte urkomischer Geschichten. Seinen Geschichten. Ein Leben von dem wir nichts wissen, im Irgendwo. Nach Behausung sieht er nicht aus. In seiner ausgeleierten schmutzigen Unterhose, der gegerbten Haut, den knochigen Gliedmaßen, die ihm nicht immer gehorchen. Ich frage mich, was mich ängstigt. Sein starrer Blick, sein plötzliches Auftauchen aus dem Schwarz der Nacht. Sein unkalkulierbares Handeln. Es ist wie im Straßenverkehr. Wir rechnen damit, dass die Fahrer der anderen Autos in einer bestimmten Art am Verkehr teilnehmen. Auf einer, von der wir glauben, dass wir sie vorher sehen können. Ist dem nicht so, fühlen wir uns irritiert, in unserer Gewohnheit gestört. Verlieren auf gewisse Weise unseren eigenen Halt des sozialen Miteinanders. Keine Ahnung, welchem Plan sein Geist folgt. Meiner ist über mich selbst überrascht, als er wahrnimmt, wie verkrampft ich in seiner verwirrten und verwirrenden Gegenwart werde. Wir bleiben sitzen. Genießen den Strand, den weiten Himmel, die nächtlichen fünfundzwanzig Grad, das Rauschen der Wellen im Schutz der Dunkelheit. Wir bleiben hier, unsere Dinge machen sich auf den Weg. Ein vorsichtiges Herantasten, eine Art Vorhut. Um uns zu berichten, wie es sich anfühlt, nach langem fernen Gehen auf heimischen Dielen zu stehen.

In Watte / In wadding

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In Watte / In wadding

14.11.2015 Tuek Thla / Kambodscha / N10°36’15.3“ E103°55’59.7“

Schmatzend, schlurfend, brüllend, das Wasser klatscht. Geschlagen von der Wucht der schweren Körper. Wasserbüffelnachbarschaft. Sie schauen zu uns herüber, als säßen sie am Gartenzaun. Genau so fixiert ihre Blicke. Keine Regung bei uns versäumend. Ich sitze im Leo. Kann die vielen Menschen davor heute schlecht verkraften. Zu viele Stimmen reden allein in meinem eigenen Kopf durcheinander. Um die zu verstehen, ziehe ich mich zurück. Wobei „verstehen“ viel verlangt. Ich höre ihnen einfach zu. Eine Freundin schreibt: „Wie in Watte...“ das trifft es gut. So fühlt es sich an. Heute. In mir. Paris, Europa, unser Land... Die Ereignisse lassen mich nicht los. In meinen Wattebausch gehüllt, rolle ich durch den Tag. Der Morgen. Langes Reden. Langes Schweigen. Wir Drei sind hier und sind auch dort. Wasser hilft. Es kühlt uns ab. Im Außen. Wir verabschieden uns vom Palmenwedel-Schatten der vergangenen zwei Tage, von den Annehmlichkeiten des Resorts auch. Stürzen uns hinein ins Leben. Mein Wattebausch verliert im selben Moment sein Weiß. Der Staub der Straße verleiht ihm Patina. Wir sind am Meer. Und wir sind nicht am Meer. Sumpfwiesen, Hütten, keine Wege. Immer wieder nehmen wir Anlauf ihm näher zu kommen. Doch Wege führen hier nicht automatisch zu schönen Stellen. Ihre Bestimmung ist immer die nächste Behausung, ein Reisfeld oder Fischteich. Götz läuft mehr draußen, als dass er im Leo säße. Sein Job ist es, unentwegt Kabel mit einer Teleskopstange anzuheben. Unser Leo braucht Raum und nimmt ihn sich. Götz, der Mann mit der wundersamen Stange in der Hand, weckt das Interesse der Leute. Er ist mittendrin, im besorgt-freudigen Getümmel der Anwohner, die ihre tief hängenden Leitungen im Blick haben. Leo ist nach Meditation zu Mute. In China hat er es gesehen. Hier will er es nun ausprobieren. Das lange rückwärts Fahren. Die Menschen dort haben ihm erzählt, dass rückwärts laufen gut ist für die Konzentration, die Wahrnehmung und Achtsamkeit. Es trainiert beide Gehirnhälften zur gleichen Zeit. Habe keine Schimmer, wo Leos Gehirnhälften stecken. Trotzdem. Schöne Idee. Doch muss es unbedingt heute sein, wo ein langer, superschmaler Weg die Trennung zwischen Wasser, weichem Boden und Sumpf ist? Es muss. Also übernimmt jeder seinen Job. Sten legt den Rückwärtsgang ein und lenkt. Götz ist der Außenlotse. Ich übernehme den Innenposten. Mein Wattebausch weht tapfer im Wind.

Tuek Thla / Kambodscha N10°36’15.3“E103°55’59.7“

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Wie der Rattenfänger aus Hameln ziehen wir eine unglaubliche Traube an Menschen hinter uns her. Als wir zum Stehen kommen, halten sie mit uns.  Mit einer Vorführung werden sie belohnt. Denn Leo mangelt es offensichtlich noch immer an Aufmerksamkeit. Also gibt er merkwürdige Geräusche von sich und schaukelt was das Zeug hält. Ein Stoßdämpfer scheint sich verabschiedet zu haben. Um es zu sehen klappt Sten vor fünfzig Augenpaaren das Fahrerhaus ab. Was für ein Spaß?! Die Sensation des Monats. Die, die unseren Rückwärtslauf noch nicht bekleidet haben, kommen spätestens jetzt vorbei. Götz hält alle mit Fotos bei Laune. Sich selbst auf den Bildern zu sehen ist hier das Größte. Sten vollführt akrobatische Übungen im aufgeklappten Leo. Und ich? Mein Wattebausch der stillen Fassungslosigkeit hält mich weiter umfangen. Er ist Schutz und Enge in Einem. So tauche ich auf, um gleich darauf einzutauchen. In eine der Blechhütten im Dorf. Wir wechseln die Wasserbüffelnachbarschaft mit der der ganzen Gemeinde. Der Dorfvorsteher besorgt uns Bier. Ein Huhn wird geschlachtet, gerupft, zerhackt, mariniert und gebraten. Alles vor unseren Augen. Es ist wie ein Spiel auf verschiedenen Feldern. Die Kinder, Frauen, Männer, Alten schauen genau was wir tun, wie wir aussehen und uns bewegen, was wir essen. Wir machen das Gleiche mit ihnen. Wie Pingpong ohne Ball. Der Regen vereint uns alle gemeinsam unter dem Blechdach der Hütte. Der Boden gestampfte Erde, das Bett der Familie ausschließlich ein Holzgestell. Eine Hängematte aus kratzigem Strick, eine Ecke zum Kochen. Das wars. Das ist das Leben hier. Ich krieche aus meinem verfilzten Wattebausch hervor, um tatsächlich bei den Menschen zu sein. Sie haben unsere Aufmerksamkeit mehr als verdient. Diese stillen Gesichter, diese großen wachen Augen, diese Münder die so gern lachen.
Die Watte hilft mir nicht weiter. Doch manchmal kommt vor dem Tun der Rückzug.

Weit weg / Far away

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Weit weg / Far away

13.11.2015 Kampot / Kambodscha / N10°33’07.3“ E104°02’45.1“

Irgendetwas ist verschoben. Ich fühle mich wie in einer Doppelwelt. Wir sitzen im Paradies, laufen der Meerlinie entlang, da wo das Wasser zärtlich über den Sand streicht. Weit weg. Schwimmen in Wasser, welches nicht abkühlt und uns trotzdem erfrischt. Trinken Shakes, wie ich sie liebe. Aus Passion- und Drachen-Frucht, Papaya, Mango, Ananas, Avocado und Co. Ich lese und schreibe, übergebe mich dem Gleiten des Tages. Während wir im Boot sitzen. In dem eines Fischers aus dem nächsten Dorf. Er zeigt uns sein Liebstes. Das Wasser. Wir reden. Haben Zeit unsere Gedanken zu teilen. Lassen es stürmen um uns herum. Auf dass alles nur so fliegt. In uns und um uns herum. Abends, beim Sitzen auf dem Steg. Eine Wasser-Melone zum Cocktail verfeinert. Wir leeren sie. Weit weg. Spontan wie er kam, entscheidet er sich auch wieder zu gehen. Der Sturm vor der Küste. Die Sonne erwärmt jeden unserer Schritte. Verzaubert alles, wie es doch eigentlich nur im Märchen geschieht. Weit weg. Habe ich mich in einem Postkartenständer verfangen und bin nun umgeben von all den „Wunderschön-Motiven“? Mir geht es gut. Ich habe nichts auszustehen. Keine komplizierten Gedanken. Und spüre doch eine Unruhe in mir, die ich nicht greifen kann. Ich nehme mich nicht so wichtig, als dass ich meinte, jetzt sofort in Europa sein zu müssen. Als könne ich die Dinge richten, die da in Schieflage geraten sind. Doch die Nachrichten häufen und verdichten sich. Sie bringen mich in Sorge. Auf eine Weise, die mich fragen lässt. Wann ist es Zeit zu gehen und wohin und warum. Wann hat unsere Reise ihre Bestimmung erfüllt? Und auf welche, wie auch immer geartete Reise begeben wir uns danach? Ist es die Ruhe vor dem Sturm, die wir gerade erleben? Darf es sein, dass wir unsere, Shake gefüllten Bäuche, in die Sonne strecken? Dürfen wir noch immer genießen? Wer verbietet es uns, wenn nicht wir selbst? Wo ist unser Platz und wann? Ich weiß, es sind meine ureigenen Fragen. Kein anderer stellt sie mir. Ich verneige mich vor den vergangenen Monaten. Ich bin den Menschen dankbar, die es uns gönnten und uns Stütze waren und sind, auf große Reise zu gehen. Weiß Gott nicht jedem ist das vergönnt. Dieses übergroße Geschenk meines Lebens. Nun möchte ich die Zeichen richtig deuten. Und in unseren verbleibenden Wochen tun, was zu tun ist. Kraft tanken, um sie zu Hause zu teilen. Sonne speichern, um später wärmen zu können. Ich bin hier.

Kampot / Kambodscha N10°33’07.3“ E104°02’45.1“

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In dem was mich umgibt. Und ich bin dort, in Gedanken, wo gerade Ungewöhnliches geschieht. Freudiges, Mut machendes, Tragisches, Beängstigendes, Katastrophales. Die Nachrichten dieser Nacht beruhigen mich nicht. Paris... Hier ist es der Sturm des weiten Meeres. Wie heißt der, der über Europa fegt? Ich bin weit weg. Zu weit?

Vier Gesichter / Four faces

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Vier Gesichter / Four faces

12.11.2015 Kampot / Kambodscha / N10°33’07.3“ E104°02’45.1“

Mit verbunden Augen sitzt Sten da. Auf seinem Stuhl. Am Straßenrand. Unseren „Frühstückstisch“ haben wir aufgebaut. Eigentlich mit Blick aufs Meer. Doch das Tuch im Gesicht trübt definitiv seine Sicht. Riechen kann er, und schmecken. Schlecht wird erst einmal nur Götz und mir, als wir sehen, was wir Sten in den Mund schieben wollen. Ein Ei, dick mit schwarzer, feuchter Erde umhüllt. Es hat wer weiß wie lange im Boden gelegen. Als wir es aufschlagen, und das wappelige Dotter sehen, noch roh, trotz des Alters, geht der Kelch noch einmal an Sten vorbei. Gesund sein und ohne Magenverstimmung ziehen wir dem kurzen Spaß doch vor. Das zweite Ei kommt in den Topf. Neuer Versuch. Vom langen Liegen ist das Dotter nach dem Kochen rabenschwarz. Götz opfert sich und lässt Worte wie: „Etwas salzig. Wie Sandkuchen. Eigentlich nicht schlecht. Hm, der Kopf halt. Eigelb in schwarz...“ fallen. Stens verzerrtes Gesicht entkrampft sich allmählich. Er übt inzwischen die Parade der Krebse. Auf dem Reifen müssen sie tanzen. Das erste Gesicht. Eines von Vier. Wie im Bayon von Angkor. Jeder Himmelsrichtung ein Gesicht geschenkt. Das hier, leicht verzerrt. Beim Einsteigen hören wir ein Quietschen und Knarzen. Das fällt auf. Inzwischen. Da uns jedes Geräusch am Leo vertraut ist. Nach kurzer Suche ist klar, die Fahrerhausaufhängung hat es erwischt. Sie ist gebrochen. Also nicht auf Strandsuche, sondern erst mal Ausschau nach einer Werkstatt halten. Der erste Versuch, ein Rumpelhäuschen, indem ein Mann aus einem Schrotthaufen einen Laster formen will. Er ist nicht da. Wir sollen warten. Und nutzen die Zeit sinnvoll, indem wir den Leo in einem Wassergrabenloch versenken. Die Mauern der Umhausung geben nach, der Reifen gräbt sich tiefer und tiefer, als wolle er das Graben des Brunnens übernehmen. Wir finden seine Hilfsbereitschaft übertrieben und bekommen ihn gerade noch heraus aus dem Loch. „Glück gehabt“, denken meine Knie und schlottern trotzdem. Das Sortiment der zweiten Werkstatt sieht keinesfalls geordneter aus, doch tatsächlich kommt einer der Gesellen mit einem passenden Bolzen angelaufen. Originalverpackt. Fünf Jungs geben alles, um das Fahrerhaus leicht anzuheben. Und schwupp diwupp, hat Leo eine neue Aufhängung.

Kampot / Kambodscha N10°33’07.3“ E104°02’45.1“

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Ohne viel Gerede, ohne viel Tam Tam. Die Werkstatt versprach nicht viel, doch ihre Leute gaben alles. Keine halbe Stunde später strahlt Sten über sein ganzes Gesicht. Das Zweite von Vier. Einen Platz ganz für uns wollen wir finden. Weißer Sandstrand. Ein Weg soll dahin führen. Groß genug, um ihn mit Leo befahren zu können. Eine Palme wäre schön, oder drei. Schatten für uns alle. So weit unser Traumbild. Per Satellitenkarte haben wir uns ein paar Stellen herausgepickt. Nicht einfach hier. Wo Strand, wenn überhaupt, sehr schmal ist und aus Stein besteht. Wege gibt es kaum. Dichter Dschungel ist die Dünung. Von Wassergräben durchzogen. Ein Weg. Ich sehe ihn als Fügung, führt uns tatsächlich ans Meer. Meer und Palmen und fast allein. Nur leider nicht das Robinson Stückchen, sondern ein Resort. Mit der Schere sind die Frauen dabei den Rasen zu schneiden. Ihr Lächeln haben sie mit dabei. Es riecht nach Meer, es klingt nach Meer. Es ist das Meer. Ein klimatisiertes Zimmer lässt unsere heißen Köpfe ein klein wenig abkühlen. Ordnet die Gedanken, gibt den Muskeln neuen Schwung. Doch Sten will heute Robinson sein und kann das Schöne nur mit Mühe sehen. Da hilft auch kein Starkregen. Er hat extra eingesetzt, um getrübte Blicke zu klären. Doch manchmal hilft guter Wille nicht. Manchmal will ein Gesicht ernst bleiben und verschlossen. Das Dritte heute. Auf den Regen folgt die Stille. Absolut, in jeden Winkel kriechend. Friedlich liegt das Wasser vor uns. Der Himmel, der eitle spiegelt sich in ihm. Etwas gelbgoldenes Licht mischt er bei, um sich selbst noch mehr zu gefallen. Uns geht es kaum anders. Weich gezeichnet, lichtwarm umschmeichelt sitzen wir weit, weit im Meer. Ein Steg hält uns. Wir halten die Gläser. Viel gibt es nicht zu sprechen. Das Meer sagt alles. Drei entspannte Gesichter. Drei vereint im Vierten. Es lacht.

Insgesamt… / All in all…

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Insgesamt… / All in all…

11.11.2015 Kep / Kambodscha / N10°28’45.3“ E104°17’39.6“

Ich sitze am Meer. Schaue auf das Wasser und bin sprachlos. Sprachlos darüber, dass nun bereits November ist. Sprachlos, dass wir es bis hierher geschafft haben. Sprachlos auch, was und wem wir alles begegnet ist. Unterwegs. Auf unserem langen verwundenen Weg vom Mittelmeer bis zum Golf von Thailand. 37.000 Kilometer inzwischen. Jeder der 37.004.252 Meter eine Bewegung die uns weg führte um uns gleichzeitig hin zu führen. Der Abstand wurde größer, die Weitsicht besser. Raum kam dazwischen, doch nicht zwingend Distanz. Manchmal ist Entfernung Nähe. Weil das Unnötige abfällt und der Kern zum Vorschein kommt. Eigenwillig. Ich vergrößere die Anzahl an Metern zwischen mir und einem Menschen und kann doch stärker in sein Inneres sehen. Das Gleiche mit Situationen, Gegebenheiten, Routinen und Gewohnheiten. Was geschieht, wenn ich den Abstand in Metern wieder verringere? Sehe ich dann unschärfer? Oder bleibt das Doppelbild? Kann ich es mir erhalten, den Blick aus der Ferne bei gleichzeitigem Nah sein? Verrücktes Spiel, wirre Gedanken. Während ich hier sitze. Am Meer. Anfang Februar hatten wir uns zu verabschieden von den Wellen, dem Wind, dem Blick in die tiefe Unendlichkeit. Wir waren nicht froh dabei. Doch die Neugier war stärker und trieb uns voran. Sie half uns zu gehen. Weg vom Meer, hinein in den Winter des Kontinents. Hinauf in die Berge, hinab in die Täler. Flüsse waren zu durchqueren. Mancher orten gab es Brücken, sie zu überwinden. Der Frühling kam und ging auch wieder. Der Sommer blieb. Staubige Pisten, mal mit kraterartigen Löchern oder auch ohne. Hinter dem Staub und mittendrin entlang unseres Weges immer wieder freudige Gesichter. Den Staub lachen sie einfach weg. Ich habe das Meer gerochen, heute. Mit jedem Kilometer schien der Geruch der Frische intensiver zu werden. Oder war es meine wünschende Einbildung, die ihr Spiel mit mir trieb? Wie dem auch sei. Plötzlich war es so weit. Nach knapp zehn Monaten stehen wir wieder da, am Meer. Ach nee, Sten hockt erst mal. Eine Glasscherbe hat sich als Willkommensgeschenk gleich tief in seine Ferse gerammt. Nachhaltiger Eindruck nennt man so was wohl. Desinfiziert und verbunden strahlt sein Fuß nun im Licht der untergehenden Sonne. Mit Götz gönne ich mir ein Bad im Badewannen warmen Golfwasser.

Kep / Kambodscha N10°28’45.3“E104°17’39.6“

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Der Salzgeschmack auf meiner Haut hat seine Nuancen gewechselt. Aus Schwitz-Salz wird Meer-Salz. Und so sitzen wir noch eine ganze Weile, mit Gläsern voll Wein und Bier in Händen. Der Blick verfängt sich im Geflacker der Fischerboote.  Und denken: „Insgesamt sitzt man viel zu selten am Meer“.

Hallo, hallo / Hello, hello

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Hallo, hallo / Hello, hello

10.11.2015 Udong / Kambodscha / N11°46’48.3“ E104°44’36.0“

Shuttle Busse sind hier offen, haben eine Ladefläche. Vorn ist ein Moped oder Motorrad angespannt. Als Pferd sozusagen. Hinten-auf stehen Frauen. Dicht an dicht. Praktisch ist, dass jede die andere mit ihrem Körper hält. Blöd, in der Mitte zu stehen. Da wird die Luft definitiv knapp. Selbst im offenen Wagen. Unbeantwortet bleibt, was bei einer starken Bremsaktion passiert. Glück hat, wer die Sitz-Variante des Shuttles erwischt. Dann sind Metallstangen als Bänke angebracht. Ich kann nicht anders. Die Assoziation zum Hühnerstall will sich nicht verdrängen lassen. Fuhre für Fuhre rollt an uns vorbei. Hunderte, Häkelmützen bestückter Frauen. Eines fällt mir auf. Rot-Weiß gestreifte T-Shirts überwiegen in der überaus bunten Kleiderordnung. „Kommen die alle von einem Fußballspiel?“ Fragen wir uns laut. Doch so Viele? Und das hier? Und ausschließlich Frauen? Dann plötzlich lichtet sich das fragende Dickicht. Eine Fabrik taucht auf mit unglaublich vielen großen weißen Hallen. In Europa ein Anblick der mich nicht weiter anheben würde. Hier ein Bild, was mich zum Staunen bringt. Der Kontrast zu den Palmenwedel-Flechthäusern, welche die Straßenränder säumen, ist mehr als krass. Die Hallen sind unbeschriftet. Doch irgendwo finden wir einen kleinen Hinweis darauf, dass hier Textilien gefertigt werden. Ist das der Ort, an dem genäht wird? Sind das die T-Shirts, in denen dann „Made in Cambodia“ steht, wenn man in Europa auf den Waschzettel schaut? Wenn dem so ist, dann ist es zumindest so, dass hier den Frauen einer ganzen Region zu einem Arbeitsplatz verholfen wird. Über die Bedingungen, in denen das abläuft, kann ich nichts sagen. Doch sie sehen irgendwie stolz aus, in ihren gestreiften Shirts. So in der Art wie : „Ich gehöre dazu“. Beim Gemüse kaufen am Straßenstand tragen sie es ebenso, wie später auf ihren kinderbestückten Mopeds. Das Transportgeschäft scheint wiederum ein Business zu sein, über welches sich die Männer freuen. In unfassbaren Mengen stehen die Fahrer mit ihren Karren wartend vor dem Eingang der Fabrik. Ob sie hier noch Reis anbauen? Oder haben sie dazu keine Zeit mehr? Es ist, als sähe ich hier den Übergang von der ländlichen Arbeit auf dem Feld, ohne Uhr, definiertem Arbeitsbeginn und Ende, hin zur Fabrikarbeit, mit seinem getakteten Abläufen von Kommen und Gehen.

Udong / Kambodscha N11°46’48.3“E104°44’36.0“

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Ich liebe das Fließende am selbst organisierten Tun. Und sehe mich dem Gegenüber, was das Leben in der westlichen Welt auszumachen scheint. Der Wechsel der Arbeitsform verändert den gesamten Lebensrhythmus. Dann laufen die Kinder nicht mehr um die Beine der unterrichtenden Lehrerin, dann kullern die Kleinen nicht mehr vorm Ventilator herum, während der Vater Telefonkarten verkauft. Dann ist Alltag neu zu organisieren. Wieder einmal würde ich gern mit den Frauen reden. Sie fragen und zuhören. Was mir bleibt sind die Bilder und Szenen. Von denen gibt es unglaublich Viele, bei unserer Bootsfahrt durch eines der schwimmenden Dörfer am „Tonle Sap“. Im Norden des Sees, nahe Siem Reap, war es eine für Touristen zurecht gezimmerte Tour. Mit Tuk Tuk Service, Lunch-Pause und geplantem Verkauf von Schulheften. Wiederum für die Kinder des Dorfes bestimmt. Ganz anders nun hier im Süden. Das Gebiet ist ein wenig wie Niemandsland. Für Reisegruppen kein Ziel. Die werden nach Phnom Penh oder Siem Reap gefahren. Glück für uns. Außer dem Dänen Lars, sind wir die einzigen „Langnasen“ weit und breit. Ein schmaler regenwasserdurchweichter Weg führt ans Wasser heran. Wir setzen uns in eines der verschlafen hin und her schaukelnden Boote und los geht die Fahrt. Blechhütte schmiegt sich an Holzschuppen. Gemeinsam wiegen sie im Gleichmut der Wellen. Irgendetwas ist wunderschön und irgendetwas das ganze Gegenteil. Schaue ich von Weitem, sehe ich die bunten Häuschen, die von schwimmenden Tonnen getragen, ihre Tage auf dem Wasser verleben. Komme ich näher, sehe ich den Plastikmüll, der sich in jede Ecke verkrochen hat, mache ich mir Gedanken darüber, wie es den Menschen gelingt, gesund zu sein. Das Wasser in den Kanälen sieht aus wie Nugat. Nicht ganz so lecker, dafür umso zähflüssiger. Mit allem nur Denkbaren vermengt. Mit demselben Wasser wird gekocht, Wäsche gewaschen, das Haus gewischt. Die Leute pullern hinein und kacken. Was sollen sie auch anderes tun? Badezimmer, Küche, Werkstatt und Toilette in Einem. Hühner gackern herum, Katzen scheuen das Nass, Hunde verteidigen bellend ihr Revier. Eine Kanalisation gibt es nicht. Gut ist, wenn es regnet. Oder der Wind das Wasser aus den Kanälen spült. Doch wohin fließt sie dann, die Kloake? In den fischreichsten See der Welt? Die Fische werden sich freuen... Die Kinder sind der Sonnenschein im Schatten der Hütten. Sie winken wild, strahlen aus ihren tiefdunklen Augen, während ihre Münder unermüdlich „hello, hello“ rufen.

Traum in Braun / Dream in Brown

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Traum in Braun / Dream in Brown

09.11.2015 Kampong Luong / Kambodscha / N13°06’05.4“ E103°12’02.3“

Es knattert und rattert, es rumpelt und quietscht. Im Halbschlaf nehme ich wahr, wie hunderte Aufsitzrasenmäher um unseren Leo herum fahren. Ist hier so viel Gras zu mähen? Komisch. War doch eher Sandboden um uns herum. Zumindest gestern Abend noch, kurz vor dem Einschlafen. Na, scheint schnell gewachsen zu sein, während des Regens in der Nacht. Von Minute zu Minute gleite ich mehr in das was eher wahrscheinlich ist. Motorroller, Fahrräder, krähende Morgenhähne. Das, was mein Traum für Aufsitzrasenmäher hielt, sind Metallkarren, die zum See fahren. Die Fische holend. Wir sind wieder am „Großen See“, dem „Tonle Sap“. Diesmal ganz im Süden. Das Seeufer haben wir noch nicht erreicht und trotzdem begleitet er uns auf unserem gesamten Weg hierher. Die von zweitausendsechshundert auf zehntausend Quadratkilometer angeschwollene Wasserfläche muss ja auch irgendwo hin. Also ergießt sie sich in das wasserhungrige Umland. Da bleibt kein Feld trocken, kein Weg schlammfrei. Es glänzt und glitzert überall, das stehende Wasser. Wie ein riesengroßer Schwamm kommt mir die Gegend vor, nur dass der eben nun auch vollgesogen ist und nichts mehr fasst. Wasser, in anderen Gegenden Mangelware. Hier im Überfluss. Und trotzdem finden wir keine Quelle, um unseren Wasservorrat im Leo aufzufüllen. Sauberes Wasser, zum Trinken geeignet, ist dann doch wieder etwas anders. Hier gibt’s mehr den „Traum in Braun“. Neben den träge schmatzenden Wasserbüffeln, plantschen übermütig die Kinder in der braunen Soße. Wie mit Schokoladenguss überzogen sehen sie aus, wenn sie aus den Löchern springen. Die jungen nachwachsenden Reispflanzen scheint das wenig zu stören. Sie genießen das fröhliche Treiben. Wir müss-wollen draußen bleiben und ziehen dem Braun eine andere Relax Oase vor. Am Straßenrand stehen rote Stühle. Die ziehen unsere Blicke auf sich. Grüne Kokosnüsse sehen wir auch. Lecker! Dahinter baumeln, geduldig wartend, Hängematten. Was für eine einladende Idee des Kokosnussverkäufers! Die drückende Hitze während unserer Rumpelfahrt hat uns derart müde geschaukelt, so dass eine kleine Hängemattenrast gerade passend scheint. Kaum gedacht liegt Sten auch schon in Einer. Sein Blick ist eher nach innen gewendet. Er schläft. Götz gönnt sich noch ein paar Strohhalmzüge des kühlen Kokosnuss Wassers.

Kampong Luong / Kambodscha N13°06’05.4“E103°12’02.3“

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Um gleich darauf auch auf Innensicht umzuschalten. Den Einheimischen tun wir es inzwischen gleich. Egal, ob an der Tankstelle oder dem Fischhändler an der Straße. Alle müssen erst geweckt werden. Erheben sich schläfrig räkelnd, wenn wir meinen, unsere Einkäufe bezahlen zu wollen. Das Leben läuft hier gemächlich ab. Anders ist es in der feuchten Hitze auch kaum zu machen. So überlasse ich mich meinem zähen, gallertartigen, verlangsamten Denken, beobachte das Treiben der Leute, als stünde ich inmitten eines Films in slow motion. Wir erweitern unseren Hausstand heute um einen Ventilator. Ein Stück, um das wir in den vergangenen Wochen immer herum geschlichen sind. Eigentlich ist für ein weiteres Möbelstück kein Platz im Leo. Doch die Wärme steht wie eine Wand. Undurchdringlich. Von keinem Windchen gestreift. Unsere schweren Zungen lösen sich behänd in den Mündern, unsere Gedanken werden beweglicher und machen Gymnastik. Heute, am Abend. Beim Tanz um den Ventilator.

Straßenzirkus / Street Circus

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Straßenzirkus / Street Circus

08.11.2015 Battambang / Kambodscha / N13°06’05.4“ E103°12’02.3“

Thunfisch mit Zwiebelwürfeln und Tomatenstücken. Dazu Zitrone, Knoblauch, Pfeffer und Salz. Das Ganze verrührt und auf Toast gelegt. Ich gebe zu, dass mich meine Innerlichkeit inzwischen zieht und zieht, wenn es darum geht, Heimisches zu essen. Ich bekomme mehr und mehr Sehnsucht nach dem Geschmack meiner Heimat, male mir aus, was ich kochen würde, käme ich jetzt nach Hause. Was für ein Frühstücks Schmaus im Schatten der kleinen Tropenlaube?! Wie kommen wir dazu am Rand eines kleinen Sees zu sitzen, von Ventilator Luft gekühlt, als seien wir dem Himmelreich auf Erden nahe? Kurz vor dem Hereinbrechen der Dunkelheit zählt an jedem unserer Tage aufs Neue der Countdown in rasender Geschwindigkeit. Die Einheit ist das Licht, was sinkt. In den Sommermonaten entspannt bis zweiundzwanzig Uhr der Sonne entgegen gezwinkert, demonstriert die Nacht nun um achtzehn Uhr, was sie unter „Pechschwarz“ versteht. Dann bestehen Rechts und Links des Weges einfach aus einem großen Nichts. Es ist wie die Fahrt durch nen unbeleuchteten Tunnel. Die lichthungrige Nacht verschlingt jeden noch so kleinen Funken. Ist es das Licht, mit dem sie die Sterne nährt, als hätte sie ihre Jungen zu versorgen? In dieser Vorstellung nehme ich es gern in Kauf, leicht unruhig zu werden, wie an jedem Abend, bevor wir unseren Motor abschalten und sagen: „Na, hier ist es doch sehr schön!“. Die Türkei hatte ihre langen einsamen Strände, die es uns leicht machten einen Platz für die Nacht zu finden. In Iran waren wir zumeist Gäste in Familien oder genossen die weite Sandwüste. Usbekistan, Kirgistan, Kasachstan, Russland und die Mongolei sind das Paradies für uns und unseren Leo, wenn es darum ging in der Unendlichkeit der Landschaften ein kleines Stück Raum zu finden, welches uns für die Nacht aufnahm. China überraschte uns mit dem ganzen Gegenteil. Dort schätzten wir uns glücklich, wenn es irgendwie gelang, am Rande der stark befahrenen Straße gerade stoppen zu können. Eines der größten Länder der Erde. Doch ohne Platz. Hier in Südostasien ist es mitunter das Wasser, welches uns auf den schmalen Wegen hält, und länger suchen lässt. Die Regenzeit hat die gesamte Region in ein überdimensionales Schwemmland verwandelt. Die Reisbauern, Fischer und Moskitos freut es. Leo bedauert manchmal, kein Boot geworden zu sein.

Battambang/ Kambodscha N13°06’05.4“E103°12’02.3“

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Ich setze meinen 360 Grad Blick auf, um mir keinen noch so kleinen Weg entgehen zu lassen, der uns heute zu unserem Schlafplatz führen könnte. Eine kleine lauschige Hütte fällt auf meine Netzhaut. Dahinter ein See. Davor, Platz für Leo. Blöd nur, dass es IN einem Grundstück ist, dieses Kleinod der Vollkommenheit. Doch die Not der Nacht macht uns mutig. Mit unserem in Khmer-Sprache geschriebenen Erklärzettel in der Hand fragen wir den Besitzer des Grundstücks. Er ist Arzt für Malaria Patienten und freut sich, uns für diese Nacht als seine Gäste aufzunehmen. Schwere Holzmöbel und zwei Ventilatoren werden heran geschafft. Die Frauen kommen, um den Boden zu wischen. Was ist das wieder für eine Begegnung. Zufall? Wir genießen stumm und lächeln. Wieder auf der Straße, begegnen wir dem pulsierenden Leben. Das ist voll gepackt, einem Balanceakt gleich. Die Menschen hier sind die Meister des Transports. Kein Karren ist zu klein, kein Moped zu zierlich, um nicht das Vielfache an Gewicht aufzustapeln. Die Fahrt über Kambodschas Straßen ist für mich wie das Sitzen in einer Akrobatikvorführung. Seiltänzer des Straßenrands. Demonstration der Gelassenheit. Im Gleichgewicht der Kräfte. Das kleine Kindchen, welches gerade gelernt hat zu sitzen, weiß, wie es sich an seiner Mama festhalten muss, um nicht hinten über zu kippen. Geturnt wird während der Fahrt. Selbst wenn vier Leute auf dem schmalen Sattel Platz genommen haben. Bambusstangen, auf der Straße schleifend, Schweine, die mit den Beinen wackeln, Stühle, Möbel, alles Undenkbare wird auf waghalsige Art transportiert, und reist winkend von A nach B. Nicht mit nem Leih-Lieferwagen oder einem Transportservice mit Latzhosenfahrer. Genommen wird, was da ist. Das Leben hier. Nicht leicht, aber einfach. Zirkus auf der Straße.

Stehaufmännchen / Roly-poly

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Stehaufmännchen / Roly-poly

07.11.2015 Samraong / Kambodscha / N14°10’12.0“ E103°29’59.3“

Ein weißer Wagen kommt vorgefahren. Aussteigt ein großer schlanker Mann im hellen Tropenanzug. Sehr elegant. Äußerst sympathisch. Als Bürgermeister stellt er sich uns vor. Etwas verdattert sitzen wir da, stehend im nächsten Moment. Mit so viel Aufmerksamkeit hatten wir nicht gerechnet. Wir sind in Anlong Veng, einer kleinen Stadt ganz im Norden Kambodschas. Kurz vor der thailändischen Grenze. Das Herausragende ist hier eher dunkel gehalten. Eine Hochburg der Roten Khmer war der Ort. Fast jeder soll hier dabei gewesen sein, steht geschrieben. Es ist dem kleinen verschlafenen Nest nicht anzumerken. Während wir so auf den See blickend unser Willkommensbier trinken. Das Grab von Pol Pot, dem sagenhaft brutalen Anführer der Rote Khmer, ist ganz in der Nähe. Noch heute bringen Anhänger Räucherstäbchen an sein Grab und befragen ihn, gottgleich, was er von der einen oder anderen Idee halte. Ich möchte das namenlose Grab nicht besuchen. Es kommt mir einer Würdigung gleich, die ich in keinster Weise zum Ausdruck bringen will. Der Bürgermeister scheint einer neuen Generation anzugehören. Jung ist er. Seine Bewegungen grazil, sein Englisch von reinem Klang. Als Gäste heißt er uns in seinem Land und seiner Stadt willkommen. Wie es dazu kommt, dass er plötzlich vor uns steht, bleibt uns verborgen. Irgendjemand scheint irgendwem erzählt zu haben, dass Ausländer in der Stadt sind. Beim Verabschieden gibt uns der Bürgermeister den Tipp nach Samraong zu fahren. Dort sei Drachenbootfest. Hui, gibt es das also auch in Kambodscha. Das wollen wir sehen. Da fahren wir hin. Wir sind nicht allein auf der achtzig Kilometer langen Strecke. Mit immer mehr „Langarmtraktoren“ haben wir uns die Straße zu teilen, je weiter wir uns annähern. Volksfeststimmung in bunten Kleidern und Schleifen im Haar. Etwas leidet der Glanz. Dann nämlich, wenn die bunte Traktorbesatzung eines Dorfes sich eine alte braun-schmutzige Folie über die Köpfe zieht, weil der Regen gar zu stark wird. Sonne und Starkregen gehen heute eine heiß-feuchte Beziehung miteinander ein. Und wir alle sehen zu. Wie aufgefädelt steht Traktor an Traktor am Straßenrand der Stadt. Wie beim Mittsommerfest kommt sie mir vor, die Hochstimmung der Leute. Der Ausbruch eines Farbvulkans. Es sprüht und zischt an allen Ecken, es dröhnt und quietscht von jedem Ende.

Samraong / Kambodscha N14°10’12.0“E103°29’59.3“

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Alle wollen Spaß. Ob auf dem kleinen Kettenkarussell, der Hüpfburg, beim Essen oder eben dem Anfeuern der Drachenbootteams. Zweiundzwanzig Männer sitzen und stehen heute in den schlanken Booten. Kein Trommelschlag für den Takt, kein lautstarkes Rufen aus zweiundzwanzig Männerkehlen. Irgendwie finden sie trotzdem ihren Rhythmus. Vorn im Boot wird gesessen, hinten gestanden. Auch hier fahren jeweils zwei Teams gegeneinander. Im Vorlauf und den Finalrunden.  Und wir? Als Ehrengäste werden wir gehandelt und zur Tribüne geführt. Goldstoff umhüllte Stühle rücken wie automatisch zur Seite. Platz wird uns gemacht, wo eigentlich keiner ist. Dieses Maß an Aufmerksamkeit macht mich verlegen. Jede, ja jede unserer Bewegungen wird auf das Genaueste beobachtet. Wie wir gehen, wie wir stehen und sitzen, wie wir reden, was wir tragen, wie wir essen, was wir trinken. Das Regionalfernsehen zwinkert uns durch seine Linsen zu. Und auch die hohen Herren lächeln uns an. In farbigen Seidenhemden die Einen, in korrekter Uniform die anderen. „Welche Rollen die Menschen wohl alle zu den Zeiten des Bürgerkriegs eingenommen haben?“, frage ich mich. Miterlebt haben sie ihn alle. So viel steht fest. Waren sie Verbündete oder Gegner? Sind sie nach dem Krieg an die Macht gekommen oder waren sie es zu allen Zeiten? Ich werde diese schattigen Gedanken trotz der Farbenfreude heute nicht los. Zu gern würde ich fragen, wie es geht, nach einem solchen Drama wieder zusammen zu sein. Brodelt es da hinter dem Vorhang? Oder haben alle das Leiden so satt, dass sie sich nach Friedlichkeit sehnen? Keiner kann mir meine Fragen beantworten. So bleibt mir einzig meine eigene Beobachtung. Wenn ich bedenke, dass bis 1998 von der Roten Khmer noch immer Minen hier im Norden ausgelegt wurden, dann ist das, was ich heute an Miteinander sehe wie das Leben von Stehaufmännchen.

Ich setze auf Gewaltfreiheit / I choose nonviolence

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Ich setze auf Gewaltfreiheit / I choose nonviolence

06.11.2015 Anlong Veng / Kambodscha / N14°14’20.2“ E104°04’46.1“

1975 wurde zur „Stunde Null“ Kambodschas erklärt. Es ist der Beginn der Herrschaftsperiode der „Roten Khmer“, einer maoistisch-nationalistischen Guerillabewegung. Und damit der Ausbruch eines unglaublich brutalen Bürgerkriegs. Ihr Ziel war es, Kambodscha unter Einsatz größter Gewalt zum Agrarkommunismus zu führen. Der Postdienst wurde eingestellt, die Währung abgeschafft. Mit absoluter Unmenschlichkeit ging man vor. Trieb Alte und Kranke aufs Land, um sie dort zwölf bis fünfzehn Stunden arbeiten zu lassen. Ungehorsam führte zur sofortigen Exekution. Die Vertreibung der Stadtbevölkerung aufs Land führte zu einem wahnsinnigen Massenmord.
Die Kinder dieser Zeit kannten nichts anderes als Krieg, da zuvor jahrelange Bombardierungen durch die US-Armee und die Kämpfer Südvietnams statt gefunden hatten. Denn Kambodscha war ebenso wie Laos mittelbar am Vietnamkrieg beteiligt. So wurden sie alle zu Kindersoldaten, die sich Anfangs von der „Roten Khmer“ Gutes erhofften.
Drei Jahre, acht Monate und zwanzig Tage währte die Herrschaft, und damit die tödliche „Säuberungspolitik“, der Roten Khmer. 1978 konnte keiner mehr. Entweder, waren die Menschen getötet (geschätzte 1,7-2,2 Millionen), verwundet von den Kämpfen, schwach vom wenigen Essen oder vollkommen desillusioniert und verzweifelt. Der Machtherrschaft der Roten Khmer bereiteten die Vietnamesen ein Ende. Doch die Rote Khmer wurde erst 1998 endgültig aufgelöst. Der Aufarbeitungsprozess begann im Jahr 2000 und hält bis heute an. Da steht er vor uns, der Mann mit den „zehn Leben“. Von seinen Freunden wird er „Katze“ genannt. Alle anderen wären längst tot. Es gibt kaum eine Stelle an seinem Körper, die keinen Einschuss, Durchschuss oder Einschluss einer Kugel aufweist. Er zeigt uns jede dieser Stellen einzeln. Lässt uns die Kugeln in seinem Körper ertasten. Mir wird schwindelig, schlecht. Ich kann nicht mehr hinsehen und glaube, gleich ohnmächtig zu werden. Ich verberge mein Gesicht hinter dem Rücken von Götz, um durch ruhiges Atmen wieder halbwegs zu mir zu kommen. Wir sind im „Kriegs-Museum“ von Siem Reap. Indem ein ehemaliger Kämpfer zu uns spricht.

Anlong Veng / Kambodscha N14°14’20.2“E104°04’46.1“

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Als Siebenjähriger ging er morgens aufs Reisfeld, um dort zu arbeiten. Als er Mittags um zwölf zum Essen heim kehrte, fand er seine gesamte Familie tot vor.  Als einer der Kindersoldaten zog er daraufhin in den Bürgerkrieg und kämpfte sein Leben lang.  Unglaubliches Leid muss er ertragen und gesehen haben. Er erzählt davon und wählt als Mittel zur Erträglichkeit Sarkasmus und Ironie. Es ist wohl seine Art, um irgendwie mit dem zu recht zu kommen, was ihm in seinem Leben wiederfuhr. Wie er so vor uns steht, laufen in meinem Kopf Massen an Filmen gleichzeitig ab. Die alle von unfassbarem Leid erzählen. Dazu die Bilder die ich sehe, von abgetrennten Gliedmaßen, Verstümmelungen und Verelendung. Wie kann ein Land weiter leben, wenn es alle diese Einzelschicksale mit sich trägt? Jeder kennt die Geschichten des Nachbarn. Was der durchlebt hat und auf wessen Seite er stand. Ist das Leben nach einem Bürgerkrieg überhaupt wieder in den Griff zu bekommen? Wer traut wem? Wie kann Vertrauen erneut entstehen? Wenn jahrelang jeder gegen jeden kämpfte, wie uns der Mann erzählt. Selbst innerhalb von Familien machten die Kämpfe nicht halt.  Ich höre den Mann reden, in all seiner Authentizität. Doch er ist ganz weit weg. Es rauscht in mir. In mir steigt Wiederwillen den Kriegsgeräten gegenüber auf, die unter den lichtgrünen Palmen stehen und fast lieblich wirken. Von amerikanischer und russischer Seite stammen sie. Einiges an Gerät geht auf deutsche Fabrikate zurück. „Sie alle sind ausschließlich zum töten da“, geht es mir durch den Kopf. Noch schrecklicher die Felder mit den Landminen. Versteckt im Gras liegen sie eingebuddelt. Bis heute bringen sie Unheil über viele Familien im ganzen Land. Immer wieder sehen wir unterwegs Leute mit fehlenden Gliedmaßen. Und auch unser Mann im Museum verabschiedet sich nach einer Weile mit der Entschuldigung, dass er nicht mehr stehen kann. Unter seinem Holzbein hat sich eine Entzündung gebildet. Wir sind Angkor Wat handbreit nah. „Angkor“ die Zeit, die in Kambodscha als „schöner Schwan“ bezeichnete wird, der sich durch die vielen Kriege im Laufe seiner Geschichte zum „hässlichen Entlein“ entwickelte. Ich bin einmal mehr erschüttert, was Menschen sich gegenseitig antun. Krieg, in welcher Form auch immer, ist der schlechteste aller nur denkbaren Wege und eine Lösung ist er in keinem Fall. Wann begreifen wir Menschen das nur endlich? Leider, leider rückt mir das Thema innerlich unglaublich nah, in Anbetracht aller Auseinandersetzungen, denen wir uns momentan auf der Welt und in Europa gegenüber sehen. Es rührt mich auf und ich kann an dieser Stelle nur einmal mehr betonen, lasst uns alle miteinander kluge, gewaltfreie Pfade beschreiten und nicht in ein dummes blindes Gegeneinander verfallen. Gewalt und geschürter Hass sind die schlechtesten aller Energien. Was für ein Sinnbild, etwas später am Rand der Straße. Der Vater schnitzt Buddha Figuren und der Sohn steht mit seinem Spielzeug Gewehr daneben. Buddha. Du und Deine gepriesene Gewaltfreiheit. Ich verehre Dich!

Tropfende Schönheit / Dripping beauty

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Tropfende Schönheit / Dripping beauty

05.11.2015 Siem Reap / Kambodscha / N13°24’23.0“ E103°49’33.5“

Noch einmal machen wir uns auf, den Steinen näher zu kommen. Der Ort, zu besonders, als dass wir ihm nach einem Tag den Rücken kehren wollten. Zuwendend, doch am liebsten schwebend, bewegen wir uns auf sie zu. Jeder Schritt, jede direkte Berührung, jede Erschütterung vorbeifahrender Tuk Tuks ist wie ein kleines Erdbeben für die versteinerten Träume. Erst Ende der neunziger Jahre Stück für Stück der Öffentlichkeit in der heutigen Form zugänglich gemacht, frage ich mich ernsthaft, wie lange diese sich selbst überlassene Zauberwelt es erträgt, Tag für Tag von tausenden Füßen begangen zu werden. Die Eintrittsgelder könnten helfen, das Gelände zu beschützen. Doch wir hören von großräumiger Korruption, die das Geld überall hin schwemmt. Nur nicht zu den Steinen. Fragil wirken die Türme. Mir ist, als hörte ich leises Rufen. Einem Fall in Zeitlupe gleichen sie mir. Einst Stabilität preisend sitzen die Türme heute vor mir, als seien sie alte Männer und Frauen. Von ihren langen und intensiven Leben gezeichnet. Jede Falte ein Kunstwerk des Gelebten. Faszination und Mitgefühl breiten sich als Gemisch in mir aus. Die Türme, Treppen, Skulpturen, Hallen, Gänge werden in meinem Kopf lebendig. Während ich sie durchlaufe, betrete, umrunde, ihnen ausweiche oder vorsichtig übersteige, scheinen sie mehr und mehr einen Dialog mit mir einzugehen. Da ist der Wassertempel. Der regentropfnass geschützt von dem ihn umgebenden See heute ganz traurig aussieht. Irgendwie einsam. „Ta Prohm“, dem wir heute einen zweiten Besuch abstatten, hält sich wacker. So viele „Lara Crofts“ im Geiste laufen hier umher. Kichernd auf das Foto wartend, welches die Freundinnen an der einen speziellen Stelle wechselseitig voneinander schießen. Dort, wo Lara Croft nachgewiesener Maßen stand. Der Tempel nimmt es gelassen. Er ist stolz auf seine filmische Bekanntheit. Doch kann er nicht verbergen, welche Kraft es ihn kostet, irgendwie seine Form zu wahren. Er ist beides. Wunderschön und gebrechlich. Und doch ein Ort voller Kraft. Still wird es heute. Der starke warme Regen scheint die Leute zu vertreiben. Das genießt „Preah Khan“. Etwas abseits steht der Tempel mit seinen langen Gängen und sich wundersam öffnenden Hallen. Die Regenruhe scheint sein Element. Allein kommen wir in den Genuss ihn zu entdecken. Die verdunstende Feuchtigkeit entsteigt seinen Steinen und Wiesen.

Siem Reap / Kambodscha N13°24’23.0“E103°49’33.5“

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Die Wurzeln umklammern ihre Lieblingsskulpturen, als seien sie Reptilien. Die Papageien geben ihr Konzert und schenken dem Ort kreischende Dschungel Echos. Das Licht, matt bläulich eingefärbt, mit Pastell gemischt. Etwas Weiß ist auch dabei. Momente, um meinen Atem anzuhalten. Den Augenblick ablegend in einem meiner inneren Schatzkästchen. Blau, Gelb, Rot, Weiß und Gold setzen ihren Akzent auf den Tag. Dann, als ein Mönch uns seine Buddhistische Flagge schenkt. „Das „Blau“ ist der Himmel. Das muss nach Oben“, beeilt er sich, uns mit auf den Weg zu geben.  Ich bin dem Regen dankbar für seinen Glanz, den er den Steinen verleiht, für seine Pfützen, in denen sich die Skulpturen besehen können wie in Spiegeln. Tropfende Schönheiten. Ich sehe euch hörend.

Verzauberte Steine / Enchanted stones

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Verzauberte Steine / Enchanted stones

04.11.2015 Siem Reap / Kambodscha / N13°24’23.0“ E103°49’33.5“

Schlaftrunken stehe ich wieder auf. Nachdem Sten mir zu verstehen gibt, dass wir noch einmal ein Stück fahren müssten. Nur langsam komme ich von meiner Schlaf- in die vermeintliche Reale-Welt zurück. Durch die Nacht fahren wir, dem Polizei Fahrzeug folgend. Für einen guten Ort zum Sonnenaufgang hatten wir den Leo auf einen Parkplatz, direkt gegenüber Angkor Wats gestellt. Was für uns nach einem lauschigen Plätzchen für die Nacht aussah, die Luft erfüllt vom Duft der alten Steine, wirkte auf die Polizisten kriminell. Sie vermuteten, mit uns ein paar der leider noch immer häufigen Kunsträuber entdeckt zu haben. So konnten sie verständlicher Weise nicht akzeptieren, dass wir die Dunkelheit im Schatten Angkors verbrachten und lotsten uns zu ihrer Polizei Station. Dort gibt es für uns eine, nun gut bewachte Stelle und eine hoffentlich entspannte Nacht. „Angkor“, das Wort sagte mir vor bald zwei Jahren so gut wie gar nichts, als ich den Titel eines kleinen Reiseführers besah, den Sten von unseren Freunden geschenkt bekam. Unendlich weit weg schien es mir, mental und physisch zugleich. „Angkor“, der Begriff, löste auch zu Beginn dieses Jahres noch wenige Emotionen in mir aus, als wiederum andere unserer Freunde diesen Ort aufsuchten und davon schwärmten. Ich näherte mich an. Monat für Monat stand das kleine Büchlein aufgereiht neben all den anderen, die mit ihren großartigen Inhalten auf Entdeckung warteten. Exemplar für Exemplar entnehme ich der Reihe und beginne mich hineinzuversetzen. Ich kann das immer erst in dem Moment, wenn der Ort oder das Thema sich selbst auf dem Silbertablett unseres Tages präsentiert. Dann hat es Präsenz, dann erhält es alle Aufmerksamkeit, die ihm zweifelsohne zusteht. Siem Reap, die Stadt, die die Nachbarschaft der Tempel genießt. Sie sind ihr Leben, ihr Puls, ihr Herz. Mit allem was denkbar ist. Das Land rundherum wirkt ländlich verschlafen. Als käme es aus einer anderen Zeit. In Angkor SIND wir nun in einer anderen Zeit und doch zeigt sich Siem Reap heutig, wie es für mich kaum gegenwärtiger geht. Die geschichtsschwangeren, von Hochkultur kündenden Steine auf der einen Seite. Menschenmengen, Hotels bewohnend, Zivilisation zelebrierend, die Bars und Restaurants bestürmend, umgeben von tausenden an Tuk Tuk Fahrern, die auf Gäste warten, um sie für fünf bis 15 Dollar zu den Tempeln zu bringen auf der anderen Seite. Alle suchen ihr Glück. Manche finden es.

Siem Reap / Kambodscha N13°24’23.0“E103°49’33.5“

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Wir lassen uns das kühle Bier mit allen anderen schmecken, die gerade die gleiche Idee hatten und sind froh, unseren Rückzugs-Leo bei uns zu haben. Was ist das nun, Angkor Wat und die vielen anderen Tempel, die in einem fast zehn Mal zehn Kilometer großen Areal verstreut liegen? Rollend auf unserem Motorrad, nähern wir uns weiter an. Ein Wassergraben ist das Erste, was wir sehen. Er zeugt von hinduistisch geprägter Baukunst. Sechshundert Jahre lang währte die Blütezeit des Angkor-Reiches, von achthundertzwei bis vierzehnhundert einunddreißig unserer Zeit. Das Reich dominierte in diesen Tagen weitestgehend Südostasien. Die Khmer sind es, die diese Macht des Herrschens und der Baukunst hervorbrachten. Neununddreißig Könige kamen damals in den Genuss des Sitzens auf dem höchsten Throns. Manche zu weiteren Landeroberungen aufgelegt, andere eher wohlig genießend. Historiker bemühen sich seit vielen Jahren, aus den steinernen Inschriften mehr über diese weitreichende Herrschaftsperiode zu erfahren. Doch diesem Entdeckungsdrang wurde durch Unruhen und Kriege, wie den in Vietnam und die Jahre der Roten Khmer, immer wieder ein Knüppel zwischen die Beine geschlagen. 1993 erhob die UNESCO Angkor zum Weltkulturerbe und wird in seiner Bedeutsamkeit in einem Atemzug mit den Ägyptischen Pyramiden und Machu Picchu in Peru genannt.
Die Goßräumigkeit des Angkor Wats zieht mich in seinen Bann. Ich verliere mich in der unglaublichen Vielfalt und Detailliebe der Reliefs. Suche darin meinen Ruhepol, um nicht von der Gewalt des Bauwerkes vereinnahmt zu werden. Ich laufe und laufe und scheine doch kein Anfang und Ende finden zu können. Architektur als Machtinstrument. Für mich hier mehr als spürbar. „Bayon“, diesen Namen kenne ich seit meiner frühesten Jugend. Eine Band gab sich 1971 in Weimar, meiner Geburtsstadt, diesen Namen. Ein Kambodschaner war damals Mitglied der Band. Von ihrem Schallplatten Cover erinnere ich die versteinerten Köpfe, vor denen ich nun leibhaftig stehe. Zweihundertsechzehn Gesichter schauen mich von vierundfünfzig Türmen aus an, durch mich hindurch, über mich hinweg. In Meditation versunken scheinen sie mir, diese in sich ruhenden Züge der Mimik. Die einen sagen, die Gesichter zeigen den damaligen Herrscher Jayavarman VII. Andere sind der Meinung, dass ein der Erleuchtung naher Buddhist, seine Weisheit verkündender „Bodhisattwa“ Modell stand, oder Brahma, eine der Hauptgottheiten des Hinduismus Vorbild war. Der Ort ist für mich Friedfertigkeit in übermenschgroßer Dimension. Ich versinke in den geschwollenen Lippen, im Blick der Augen, die etwas Ewiges zu sehen scheinen.
Ganz anders „Ta Prohm“, ein anderer Tempel. Mitten im Dschungel tauchen vor uns Stein-Wurzel-Baum-Relief Kunstwerke auf. Wie zäher süßer Milchbrei ergießen sich die Wurzeltentakeln über den Steinbauten aus dem 12. Jahrhundert. Die Kraft der voranstrebenden Natur treibt seit Langem ihr Spiel mit den Steinen. Dabei zeigen sie ihr  künstlerisches Verständnis. Geprägt von einem großen Gespür für Ästhetik. Die Wurzeln gehen eine unglaublich grazile Symbiose mit den Bauten ein. Sie bereichern sie, schenken ihnen ein neues verändertes Antlitz.  Auch wenn ein Erdrücken und damit Zerfallen der Mauern mitunter nicht ausbleibt. Ich kann lange stehen um die Formen mit meinen Augen zu ertasten. Vorwärts drängen mich einzig die nachrückenden Menschentrauben.   Ich fühle mich verzaubert, von dieser Märchenwelt. In der es mich nicht wundern würde, erhöbe sich plötzlich aus der innigen Verschlungenheit ein leibhaftiges Wurzel-Stein Liebespaar.

Warten auf G / Waiting for G

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Warten auf G / Waiting for G

03.11.2015 Siem Reap / Kambodscha / N13°24’23.0“ E103°49’33.5“

Zu Dritt auf unserem Motorrad zu fahren ist für uns ne echte Nummer. Hier macht das jeder. Und man fällt damit überhaupt nicht auf. Weil drei Leute nicht viele sind auf einem fünfzig Zentimeter Sitz. Bei fünf Personen, plus großem Reissack, wird es etwas enger auf den Mopeds. Doch alles darunter ist „Pillepalle“. Sten, Tommy und mir bleibt keine so großartig andere Wahl, als uns bei strömendem Regen auf das Motorrad zu schwingen. Tommy sogar im sogenannten „Damensitz“, da der Auspuff durch seine Tagestour extrem heiß ist. Sten balanciert uns durch das Gewühl der Mopeds, als hätte er selten etwas anderes getan. Wir erreichen pitschnass doch strahlend unseren Leo und können nun der Dinge harren, die da vielleicht kommen. Götz hat sich noch einmal angekündigt. Er verbrachte schon einmal zwei Wochen, in der Mongolei, mit uns und will nun wissen, wie es sich im November in den Tropen anfühlt. Doch noch ist nichts zu sehen von ihm. Vietnam Airlines bringt ihn in einem Direktflug von Frankfurt nach Ho Chi Min City. Von dort sollte es eigentlich nur noch ein „Hops“ bis zu uns sein. Doch hier in Asien ticken die Uhren anders. Pläne sind da eher Vorschläge denn verlässliche Zeitenpunkte. Für uns inzwischen Normalität. Für aus Europa Kommende gewöhnungsbedürftig. So wird aus der Ankunft am frühen Morgen erst einmal nichts. Gut. Rollen wir den roten Teppich vorerst wieder zusammen. In Vietnam weiß Götz von nichts, da auch die Leute an den Schaltern nicht wissen, wann die Reise weiter geht. Eine schrittweise Annäherung setzt ein. Vielleicht gegen Mittag, vielleicht am Nachmittag, vielleicht zur Zeit des Sonnenuntergangs möglicherweise? Alles Varianten eines Weiterflugs. Götz wartet in Vietnam, wir in Kambodscha. Die Sonne erreicht ihren höchsten Stand und steigt allmählich wieder ab von ihrem hohen Ross. Und schon steht unser „Handlungssreisender“ vor uns. Er ist gelandet. Er ist angekommen. Warten auf G mit einem anderen Ausgang als dem des Romans. Doch die Frage stellt sich mir genau so. Worauf warten wir, wenn wir warten? Die Hitze ist erst einmal wie ne Wand für Götz. Gemixt mit der Müdigkeit des langen Fluges, ein komatöser Cocktail. Also kurze Aufheiterung mit ner kleinen Tuk Tuk Fahrt. Das erste kühle Bier. Der erste frische Mango Shake. Dann schlafen. Für die Schönheit und das innere Anlanden. Seine Seele hängt vielleicht noch irgendwo vor einer Heizung in Europa herum oder amüsiert sich gerade im kühlen Teil Zentralasiens. Na vielleicht kommt sie morgen an, mit der Mittagsmaschine oder kurz vor Sonnenuntergang. Die Seele von G.

Siem Reap / Kambodscha N13°24’23.0“E103°49’33.5“

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Schwimmende Dörfer / Floating villages

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Schwimmende Dörfer / Floating villages

02.11.2015 Siem Reap / Kambodscha / N13°24’23.0“ E103°49’33.5“

Die Frauen der Familie haben es sich in unseren Stühlen vor dem Leo gemütlich gemacht. Sie sitzen still da, während ihre Münder einen Haufen an Ideen und Spekulationen aus sich heraus spülen. Jedes Detail wird beobachtet und kommentiert. Wir hören es von drinnen und verhalten uns noch ein wenig, als schliefen wir. Manchmal ist es nicht leicht, unter so viel Aufmerksamkeit am Morgen die Tür vom Leo zu öffnen. Es ist der Moment, von dem an keine Bewegung mehr ungesehen bleibt. Fast habe ich mich daran gewöhnt, beim Tomaten schneiden, Brot rösten, Teewasser brühen, in ein Stück Melone beißen, Treppe fegen oder Zähne putzen eine Reihe von Zuschauern zu haben. Doch ein Rest an Unbehagen bleibt. Ich verstehe, dass wir für die Menschen das gefühlte Highlight des Tages sind. So was gibt es nicht immer zu sehen. So lächele und winke ich ihnen zu und schnippele einfach an meinen Tomatenstückchen für den Frühstückssalat weiter. Zum Abschied von der Familie, die uns so herzlich auf ihrem Stück Land aufgenommen hat, schenke ich den Frauen Schäler für ihr Gemüse. Aus gutem Solingen Stahl. Ich hatte vor der Reise lange nachgedacht, was sinnvolle Geschenke sein könnten, die wir ab und an den Menschen geben, wenn wir das Gefühl haben, dass sie es gebrauchen können. Gemüse Schäler für die Frauen und Opinell Messer für die Männer haben wir dabei. Beides nehmen die Männer und Frauen mit strahlenden Augen. Nur aufpassen muss ich, dass keine der Frauen zu kurz kommt. Wenn dann doch noch einen Cousine der Schwester von nebenan da steht und erwartungsvoll schaut. Ich bemerke die Blicke und habe auch für sie noch einen bunten Schäler dabei. Das Tuk Tuk wartet, um uns an das matschige Ufer des „Tonle Sap“ Ausläufers zu bringen. Der „Tonle Sap“ ist der größte See Südostasiens. Seine genauen Ausmaße lassen sich nicht benennen, da sie zwischen 2.600 und 10.400 Quadratkilometern schwanken. Während der Regenzeit schwillt der See derart an, dass er von 2-3 Metern auf 14 Meter Tiefe anwächst. Elf Meter Höhenunterschied auf dieser riesigen Fläche. Eine unglaubliche Schwankung in meinen Augen. In der Hochzeit des Regens im September stehen in Kambodscha zwei Drittel des bewirtschaftbaren Landes unter Wasser. In diesen Monaten fließt das Wasser des Mekongs in den „Tonle Sap“ hinein. Um später, im November, seine Fließrichtung zu ändern.

Siem Reap / Kambodscha N13°24’23.0“E103°49’33.5“

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So speist der See in den trockenen Monaten wiederum den Mekong. Ein phantastisches Spiel der Natur. Sie regelt das von ganz allein. Ohne unsere menschlichen Hände zu benötigen. Ich hoffe für die ganze Region, dass die geplanten und bereits gebauten Staudämme dieses System aufrecht erhalten und nicht zum Kippen bringen. Denn sowohl die Landwirtschaft als auch das Leben der Fische, und damit natürlich der Menschen, hängt in entscheidendem Maß von diesem Fluss der Dinge ab. Ich freue mich, inmitten dieses Überflusses an Wasser zu stehen. Haben wir es am Aralsee ja schon ganz anders erleben müssen... Das Tuk Tuk hält an. Wir steigen aus. Oder besser, wir rutschen aus. Um uns herum sieht es aus wie auf einer Großbaustelle. Schlamm, nasser Sand, Wasser. Kipper, die Erde bringen, Raupen, die sie verteilen, um den Boden einigermaßen zu befestigen. Großbaustellenwerkzeuge und dazwischen umherschlitternde Menschen. Die mit den Tuk Tuks, die mit den Booten und die, die zu Besuch sind. Wir. Zu einem der „schwimmenden Dörfer“ wollen wir. Sie liegen am Ufer des „Tonle Sap“, umgeben von Mangroven Wäldern. Die Strecke dorthin ist mal kürzer und mal länger. Je nachdem wie hoch das Wasser steht. Es scheint momentan zurück zu gehen. Denn manche der Boote bleiben im Sand stecken. Unseres auch. Sten versucht mit aller Kraft, den „Karren aus dem Dreck“ zu ziehen. Doch der Sandboden ist unerbittlich. Das Boot dreht sich, doch kommt nicht frei. Also schlittern wir durch den Matsch zu einem der Boote, welches weiter vorn liegt. Dort, wo das Wasser noch tiefer ist und freie Fahrt ermöglicht. Wie die Beine von Bauarbeitern sehen unsere Flip-Flop Füße nun aus, doch wir erfreuen uns an dem Fahrtwind des Bootes, der ein wenig Erfrischung vorbei schickt. Die ersten Häuser tauchen auf. Hochstelzig wie es höher kaum geht. Aus zehn Metern schauen die Leute aus ihren Hochhäusern herunter. Das Wort „Hochhaus“ bekommt hier für mich einen ganz neuen Sinn. Das Wasser plätschert um die frei stehenden Stützen herum, die zu anderen Zeiten komplett untertauchen. Dann, wenn der Wasserstand am höchsten ist. Einen Alltag auf verschiedenen Levels führen die Menschen hier. Fischfang ist ihr Geschäft. Der See ihr Leben. Ihren Schulweg legen die Kinder hier nicht zu Fuß oder auf dem Fahrrad zurück, sondern per Boot. Wasserschlachten sind ihr Spaß. Weiße Schulkleidung von Wasser getränkt.  Wir gleiten in unserm Boot durch das Bild hindurch, durchstoßen die Leinwand, um uns dahinter trotzdem, immer noch oder wieder im Bild zu befinden. Bunt sind die Boote, bunt sind die Leute, die sich mal rudernd, mal motorisiert vorwärts bewegen. Bei allem was sie tun scheint ihr Thema der „Fisch“ zu sein. Mal mit dem Fang beschäftigt, mal mit den Netzen, oder dem Zubereiten. Einer der fischreichsten, wenn nicht DER fischreichste See der Erde soll er sein, der „Tonle Sap“. Der See der Superlative, mit seinem Spiel des Hin und Her der fließenden Richtungen. Inspiration mal in den See hinein, mal aus ihm heraus. Ein Sinnbild was mir gefällt.

Im Anpassungsbüro / The Adjustment Bureau

Im Anpassungsbüro / The Adjustment Bureau

01.11.2015 Tonlè-Sap-See / Kambodscha / N13°17’54.5“ E103°59’49.6“

Der Ventilator bringt ein wenig Wind in die ganze Szene. Wohltuend. Der schläfrige Hund liegt neben mir. Nicht einmal die auf ihm herum tanzenden Grashüpfer können ihn dazu bewegen, auch nur mit einem Ohr zu wackeln. Er döst. Vor mir eine große Holzplatte. Einen halben Meter über dem Boden schwebend, mit Holzbeinen abgestützt. Darauf eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun Leute. Im Lotossitz oder irgendwie dahin räkelnd, vor sich einen Teller mit Reis. Sten, Tommy und ich sind auch dabei. Oder besser, wir sitzen mittendrin. Beschienen vom gelben Licht der Energiesparlampe. Zum Ärger der umherflatternden Moskitos. Die müssen sich mit dem weißen Licht begnügen, etwas abseits der Menschentraube ist das in die Fassung geschraubt. Ein geschickter Schachzug des Familienvaters. Der Punkt mit dem weißen Licht geht eindeutig an ihn. Es klappert und plappert, es kichert und schmatzt. Ich schließe meine Augen für einen Moment und genieße das quirlige Treiben um mich herum. Die Kinder tummeln sich auf der Sitz-Tisch-Ess-Platte. Unser mitgebrachtes Essen finden sie verlockend und kosten fröhlich vor sich hin. Die Mutter bringt dampfende Fischsuppe. Mit einem Aroma, das mich schwärmen lässt. Zitronengras der allerfeinsten Sorte. Die Nachbarn kommen, setzen sich dazwischen. Finden eine Schüssel und angeln sich mit ihren Stäbchen die Champignons aus unserem Reissalat. Ein Tuch um die Hüfte gebunden kommt der Vater frisch gewaschen angeschlendert. Augenblicklich verlassen die Kinder die Bühne, um ihm Platz zum Sitzen zu machen. Vollkommen lautlos geht das von statten. Sie verkrümeln sich in die Hängematten und probieren englische Worte an uns aus. Klappt prima. Wir verstehen was sie sagen. Das motiviert sie und wir können nun sogar ein klein wenig miteinander reden. Alles andere geschieht über Gesten. Unser Plan war, heute einen stillen Ort am See zu finden. Und wo sind wir? In einem Dorf, mitten im Irgendwo. Der See, der kann offensichtlich warten. Das Schicksal hatte heute anderes mit uns vor. Der Weg hierher, ein bisschen wie im Paradies. Brauner Sandweg, grüne Palmen und Bananenstauden. Verziert mit weißen Rinderherden. Dekoriert mit umherspringenden bunten Kinderpunkten. Ich sehe und kann es nicht glauben. Irgendetwas scheint wie „zu schön“ auszusehen.

Tonlè-Sap-See / Kambodscha N13°17’54.5“E103°59’49.6“

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Als wäre dieses Stillleben für einen Maler arrangiert, seiner Phantasien entsprungen. An mir ist es, zu verstehen, dass sich das fertige Bild bereits vor mir abspielt. Ein wenig verrückt komme ich mir vor. Nun, vielleicht passiert mir das, weil ich schon so lange reise. Dann heben sich Realitäten mehr und mehr auf. Genau so der Moment, als Sten und ich heute zum Meditieren eingeladen werden. Wir laufen durch einen Klostertempel. Und finden uns wieder vor dem Buddha Altar. In weiße Tücher gehüllt sitzen in Gleichmut versunkene Menschen davor. Ein Mann kommt zu uns. Er sagt nicht „bitte gehen sie“. Er lädt uns ein, ein paar Minuten mit ihm gemeinsam zu meditieren. Er tut es in einer Weise, die uns gefällt und wir lassen uns auf ihn ein. Regeneriert und vollkommen frisch tauche ich nach einer Weile wieder auf. Einmal mehr sprachlos darüber welche Überraschungen unser Schicksal für uns bereithält. Es ist einfach nicht absehbar. Es geschieht ganz plötzlich und wir lassen uns ein. Die Frage ist nur. Warum halten wir genau an diesem einen Punkt an? Was veranlasst uns dazu und lässt uns nicht weiter fahren? Der Film „The Adjustment Bureau“ will mir nicht aus dem Kopf weichen. Darin regeln eine Reihe an Männern mit schwarzen Hüten die Wege. Sie halten unseren Lebensplan in Händen und leiten uns. Während wir glauben, es sei unser eigener Wille. Verquer. Doch ganz genau so fühlt sich das an, was uns hier Tag für Tag wiederfährt.

Schauderschön / Shudder-beautiful

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Schauderschön / Shudder-beautiful

31.10.2015 Koh Ker / Kambodscha / N13°42’57.6“ E104°32’43.6“

Kambodschas Geschichte ist eine lange. Zurück reicht sie bis viertausendzweihundert vor Christus. Erste Siedlungen gab es damals auf dem Gebiet des heutigen Kambodschas. Die weithin, bis in das heute, strahlende Periode der Blüte war die der „Khmer-Zeit“. Vom neunten bis zum fünfzehnten Jahrhundert reichte sie. Seither hatte die Region mit Kolonialzeiten, mehreren Bürgerkriegen, Abhängigkeiten mal von Thailand, mal von Vietnam, der brutalen Zeit der „roten Khmer“ in den achtziger Jahren und vielen weiteren Unruhen im und um das Land herum zu kämpfen. Ich spüre davon heute nichts. Wenn wir durch die vom Dschungel zugewachsenen Gebiete hier ganz im Norden Kambodschas fahren. Die Menschen in den kleinen, zwischen dem dichten Grün auftauchenden Dörfchen, sind fröhlich, winken uns zu und wirken heiter. Sie gehen ihren ganz normalen Tagesbeschäftigungen nach. Bauen hochstelzige Hütten, waschen Wäsche, ernten Reis und sitzen vor allem sehr oft an den schattigen Plätzen ihrer Häuser oder schwingen gemächlich in Hängematten. Das Leben strahlt voller Selbstverständlichkeit. Es ist wie ein eigenes kleines System. Alles wirkt miteinander verzahnt und funktioniert wie es ist. Einfluss von außen scheint unangebracht. Es ist ein spartanisches Leben, doch macht es auf mich durchaus einen befriedeten Eindruck. Immer wieder kreiselt mir der Begriff „Armut“ durch den Kopf. Als eines der ärmsten Länder der Welt wird Kambodscha eingestuft. Doch erneut merke ich, dass es offensichtlich mehrere Betrachtungsweisen zu diesem einen Begriff gibt. Arm ist, wer unter einem bestimmten Einkommen pro Jahr liegt. Doch arm, das leuchtet mir hier allerorten entgegen, heißt nicht automatisch unglücklich. Ich hatte dieses Wort bisher immer sehr einseitig gesehen und würde ihm hier gern „einfach“, „eingespielt“ und „entspannt“ hinzufügen. Immer wieder scheint der „Armutsbegriff“ einer zu sein, der aus unserer westlichen Perspektive gespeist ist. Ohne den Menschen hier nicht ein Mehr an Lebensvereinfachung zu wünschen, bewundere ich doch ihre harmonisch wirkende Form des Zusammenlebens. Das Ursprüngliche hat eine Magie, die mich anzieht. Die Zeit der „Khmer“ hat in Kambodscha überall seine steinernen Spuren hinterlassen. Wir sind in „Koh Ker“. Der Hauptstadt des einstigen Khmer-Reiches in den Jahren von neunhundertachtundzwanzig bis neunhundertvierundvierzig nach Christus.

Koh Ker/ Kambodscha N13°42’57.6“E104°32’43.6“

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Später zog die Hauptstadt mit Sack und Pack nach Angkor. Doch die gab es in den frühen Jahren noch nicht. Also errichteten die Menschen hier, vorwiegend aus Sandstein und kleinen Ziegeln, unglaubliche Bauwerke. Holz soll damals auch mit im Spiel gewesen sein. Doch davon sind alle Spuren verwischt. Fünfundfünfzig Meter breit und vierzig Meter hoch ist die Pyramide, die mich an die Bauwerke der Maya erinnert. Zeitlich einordnen kann ich beides zueinander nicht. Doch mir nimmt es den Atem, wenn ich darüber nachdenke, in welch früher Zeit die Menschen fähig waren, derartige, bis heute erhaltene Bauwerke zu errichten. Ich gehe durch das weitläufige Dschungel-Stein Gewirr der architektonischen Baukunst. Das Licht fällt verzaubernd vom Himmel herunter. Die dunklen Steine pointiert beleuchtet. Farbliche Abstufungen von Hellblau bis Dunkelgau schimmern im Gegenlicht und machen jedes Detail zum Highlight. Ein Beleuchter bei Dreharbeiten hätte es nicht besser hinbekommen, um das Mystische dieses Ortes herauszustreichen. Wurzeln, die sich um Steine schlingen. Bäume, sich in ihrer Schönheit mit den verzierten Säulen messend. Ich bin verzückt, gemischt mit einem Hauch von Furcht. Ich laufe allein hier hindurch. Sten hat sich in einen Stein verguckt, Tommy in ein Säulentor. Da ist es nur zu gut, dass ich die Mienenwarnschilder erst später lese. Womöglich hätten sie mich des Genusses beraubt. Einundachtzig Bauwerke soll das ganze Gebiet umfassen. Ungefähr zwanzig davon kann man heute sehen. Der Rest liegt in stark verminten Gebieten. Was für eine Tragik. Wie nah sind sich mitunter das Wunderschöne und das Abgrundhässliche. Ich entscheide mich dafür, der baulichen Geschichte meine Ohren und Augen zu widmen. Und lasse mich Schritt für Schritt vorwärts treiben in diesem verwunschenen schauder-schönen einsamen Paradies der Steine.

Ein Kommen und Gehen / An arrival and leave

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Ein Kommen und Gehen / An arrival and leave

30.10.2015 Ph. Sralau / Kambodscha / N13°46’40.9“ E105°36’16.9“

Bin ich zu Hause, gibt es sie, diese Tage, an denen ich einfach mal so ein wenig „herumpuzzle“. An denen reiße ich nicht die Welt ein. Doch solche Tage sind gut. Ich liebe sie. Dann räume ich auf oder um. Dann lese ich, wasche Wäsche, schlendere durch die Stadt, telefoniere, kümmere mich um meine Pflanzen, sitze auf unserer Terrasse und schaue geradeaus. Dann habe ich Zeit für mich selbst. Nun sind wir momentan auf Reisen und alles ist anders. Jedes Alltagsgefühl ist aufgelöst, der Wochenrhythmus ebenfalls. Es spielt keine große Rolle, welcher Tag gerade ist. Wenn wir bemerken, dass sich bereits wieder ein Freitag in unser Sichtfeld rückt, dann ist es einzig ein Indiz für die schnell vergehende Zeit. Das tut sie inzwischen übrigens wirklich. Es scheint ein Naturgesetz zu sein, dass die Zeit zu Beginn des Unterwegsseins sehr langsam vergeht. Es war quasi die Zeit, in der wir uns auf dem Anstieg des Reisens befunden haben. Die Halbzeit fühlte sich für mich immer noch langsam an, auch die ersten Monate danach. Es war wie ein Hochplateau, auf dem wir liefen. Eine unfassbar schöne Zeit. Doch jetzt rollen wir nur so die Berge herunter. Schneller und schneller werden wir. Wir holen uns Schrammen, stoßen rechts und links an. Versuchen, uns aneinander festzuhalten. Doch das hilft alles nichts. Wir rollen. Heute haben wir einen Bremskeil untergelegt und ruhen erst einmal aus. Sonst wird uns noch ganz schwindelig. Wir sehnten uns nach einem dieser „ganz normalen Tage“, diesem „bleiben“ und nicht „weiter“. Unser Schicksal schien es ähnlich zu sehen und bescherte uns am Abend zuvor einen Platz, wie er schöner kaum sein kann. Ein klitzekleiner See, nicht größer als ein Feuerwehrteich, umgeben von Bambus, Palmen und Bananenstauden. Das Dorf, in direkter Nachbarschaft. Das Klappern der Schüsseln, das Wimmern der Kinder hallt zu uns herüber. Der See, der Treffpunkt der Leute. Wie in einer Szenenaufführung kommen sie über den ganzen Tag verteilt zum Wasser. Die zwei Rancher, in ihren beigefarbenen Uniformen, sind einfach neugierig auf uns. Setzen sich, trinken ein Wasser und schauen. Die kleine Familie fährt mit dem Motorroller vor. Der Vater putzt es im Wasser. Die Mutter putzt ihre zwei Kinder. Und Wäsche hat sie dabei. Die kommt auch in Genuss eines Bades. Kaum ist die Familie abgefahren, kommen zwei Männer mit Händen voller Schmiere.

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Wer weiß, was sie gerade repariert haben. Wir geben den beiden von unserer Waschpaste ab. Da der Schmutz zwar Schlieren im Wasser macht, aber einfach nicht weichen will. Der See, ein Sammelbecken für alle und alles. Das Umweltamt sollte hier wohl besser nicht vorbei schauen. Im Dorf mit seinen vielleicht fünfzig Leuten, wissen alle, dass wir da sind. Und so geht es am Abend weiter. Ein zuckersüßes altes Pärchen kommt vorbei. Sie setzen sich auf eine Tasse Bier zu uns. Der Mann nimmt gern einen Teller voll Nudeln und Gemüse. Unbeweglich sitzt er da und gabelt seinen Teller bis auf den letzten Nudelkringel leer. Seiner Frau gibt er keinen einzigen Happen ab. Es scheint ihm zu schmecken. Als er satt ist, gehen die beiden, um zwei anderen Platz zu machen. Die singen sogar. Auch wenn es bestimmt nicht einfach ist, zu unseren Ukulele-Spiel-Versuchen zu singen. Sie schaffen es. So gleitet uns der Tag durch die Finger, als schöpften wir Wasser mit ihnen. Sten und Tommy haben Zeit für ihre Filmexperimente und ich kann schreiben, bis mir die Fingerkuppen summen. Es ist vollkommen egal wo wir sind. Anhalten, um zu sehen was geschieht, ist inzwischen für uns die schönste Art des Unterwegsseins. Dann tauchen wir ein in das Land, ohne Schnorchel und Brille. Dann sind die Menschen ganz nah und jede Begegnung sehr direkt. Dann, wenn irgendetwas kommt und irgendjemand geht.

Lachende Nähe / Laughing nearness

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Lachende Nähe / Laughing nearness

29.10.2015 Ph. Sralau / Kambodscha / N13°46’40.9“ E105°36’16.9“

Auf einer großen Wiese in einem kleinen Dorf erwache ich. Von weitem schauen die Kinder was sich regt, an unserem Leo. So einen „Brummer“ in ihrem Dorf. Das gab es mit Sicherheit ihr ganzes Kinderleben lang noch nie. Es ist wie ein vorsichtiges Abtasten von beiden Seiten. Die Kinder beobachten genau was wir tun. Wir wiederum sind neu in Kambodscha, wissen nicht, wie die Menschen hier leben, wie es ihnen geht. Dieser erste Morgen in einem neuen Land ist für mich jedes Mal sehr speziell. Trotz der drückenden Wärme, die mein Denken verlangsamt, gibt es einen Teil in mir, der hellwach ist und alles mitzuschreiben scheint, was ich wahrnehme.
Eine kleine Stadt taucht auf. Der Ort, um uns erst einmal einzurichten. Geld brauchen wir und eine Telefonkarte. Etwas zu Essen wäre praktisch und vielleicht findet Tommy einen „Laundry-Service“, um seine Wäsche waschen zu lassen. „Riel“ nennt sich hier das Geld. Viertausend Riel sind ein Dollar. Schon mal gut zu wissen, um die Angaben an der Tankstelle zu verstehen. Doch da steht irgendetwas anderes. Wir können die Größe der Zahlen nicht einordnen. Na, wer weiß. Einen Geldautomaten finden wir. Doch der ist von der ganz langsamen Sorte. Da steht er nun schon in einem klimatisierten Kasten und trotzdem zickt er rum, als sei er vom Hitzeschlag getroffen. Nach unzähligen Versuchen mit diversen Karten und unterschiedlichen Höhen der angeforderten Beträge bekommen wir irgendwie heraus, dass hier keine „Riel“ aus dem Automaten fallen, sondern Dollar. Dass heißt, unsere eingegebenen Beträge waren in Dollar ein Vermögen, die uns der Automat logischer Weise verwehrte. Und warum halten wir nun Dollar in den Händen? Müssen wir die nun wiederum tauschen? Wir probieren unser Glück an einem Telefonstand. Ein windschiefes Hüttchen, doch mit einer Jalousie davor, die am Abend verschlossen werden kann. Zwei Kinder kullern wie junge Hunde auf dem Boden herum. Ihre Haare wehen im Wind des Ventilators. „Bose“-Boxen, Ladekabel, „chinesische und gute“, wie der Ladenbesitzer uns mitteilt , Telefone, Zubehör, im Grunde findet sich fast alles hier, was man auch in einem Edel-Telefon-Store im schicken Ambiente erwerben kann. Der Unterschied ist die Umgebung. Nebenan sitzen dicke Fliegen auf, in der Sonne vor sich hin schmorenden, Fleischbatzen.

Ph. Sralau/ Kambodscha N13°46’40.9“E105°36’16.9“

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Fische versuchen ihr Glück mit dem Atmen in zu kleinen Schüsseln. Das Gemüse bemüht sich unbeeindruckt von der Hitze zu bleiben und demonstriert grüne Frische. Was mein Magen zu all den Leckereien sagt, weiß ich noch nicht genau. Ich koste erst einmal nur mit meinen Augen. Sten und Tommy probieren ein paar Zuckerrohr-Drinks. Die Rohre werden dafür mehrmals durch eine Walze gequetscht, bis der Saft ausdringt.  Es ist vollkommen unkompliziert, eine Telefonkarte mit Internet zu bekommen. Wie unterschiedlich da doch die Länder sind. Im hochentwickelten China ist selbst eine fünf-Millionen-Stadt zu klein um eine SIM-Card zu kaufen. Hier scheint das an jeder Häuserecke zu gehen. „4G“ natürlich, wie uns der Telefonladenmann stolz offeriert. Und wie ist es nun mit dem Bezahlen? Wir haben ja nur Dollar. „Wir nehmen hier überall beides“ erfahren wir im Telefonhüttchen. Ich bezahle also mit Dollar und bekomme daraufhin mein Wechselgeld gemischt in Dollar und Riel zurück. Ein lustiges System. Ob da einer durchblickt? Ich nehme einfach, was mir gegeben wird und stecke das Geld vertrauensvoll in meine Tasche. Der Preis für meine gebratenen Ananasstückchen zum Mittag wird sowohl in Dollar als auch in Riel ausgewiesen. Der neue Haarschnitt für Sten kostet klare 2 Dollar. Unsere Irritation an der Tankstelle klärt sich für uns nun auch auf. Wir suchten nach Riel Beträgen, fanden aber nur Dollar Werte. Warum hier mit beiden Währungen hantiert wird erschließt sich uns heute nicht. Vielleicht bekommen wir es später raus.    Doch wir fühlen uns dem Land schon ein ganz klein wenig näher gerückt. Die Menschen tun ihr übriges dazu. Sie sind ein kunterbunter Mix aus allen möglichen Völkerrichtungen, entstanden aus der Jahrhunderte währenden Bewegung der Grenzen und zugehörigen Gebiete. Doch freundlich sind sie alle. Als hätten sie zwei Gesichter, so verändert sehen sie aus, wenn aus den ruhigen, konzentrierten Gesichtern plötzlich ein Lachen strahlt. Dann ist das Neue nicht mehr so neu und das Fremde nicht mehr so fremd. Dann wird aus Abstand Nähe.

Im Königreich / In the kingdom

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Im Königreich / In the kingdom

28.10.2015 Stung Treng / Kambodscha / N13°34’40.6“ E106°00’19.3“

Sechs Uhr am Morgen. Die Luft ist noch einigermaßen frisch. Zumindest ist mein Kopf jetzt noch in der Lage irgendwelche Denkvorgänge zu absolvieren. Es ist seit Wochen „meine Zeit“. Ich liebe diese frühe Stunde des anbrechenden Tages. Die Hähne krähen und die ersten Kinderstimmen hallen umher. Hundegebell und Vogelgezwitscher dringen an mein Ohr. Später wird es immer stiller, fast lautlos. Lebendigkeit und Lethargie treten an jedem Tag erneut miteinander in den Ring. Die erste Runde geht an die Frische, später siegt nur noch die Lethargie. Von Stunde zu Stunde verlangsamt sich die Fähigkeit meines klaren Denkens und erreicht seinen Höhepunkt des Unvermögens zwischen zwölf und fünfzehn Uhr. Da nämlich wenn die feuchte warme Luft wie eine schwere Filzdecke auf mir liegt, gegen die ich mich nicht erwehren kann. Ich liebe den Sommer und ich liebe es warm. Doch wie es gelingen kann, in diesem Klima irgendeine Denkleistung zu vollführen, ist mir ein Rätsel. Der Tag schleicht sich an. Barfuß ist er, so tonlos geht es von statten. Doch heute hat er wohl obendrein einen Unsichtbarkeitsmantel umgehängt. Der Tag scheint sich selbst zu verschlafen. Alle und alles muss den Rausch des Festes der vergangenen Nacht verkraften. Außer ein paar Mönchen ist niemand zu sehen. Der Mekong ist damit beschäftigt, die Bananenblatt-Blüten-Kerzen-Wunsch-Kronen durch die Gegend zu schippern. Das ist aber auch schon alles. Ein schläfriger Mann mixt uns ein paar Melonen-Shakes. Die Eier brät er halb im Traum. So sieht er aus, unser Abschied aus Laos. Unglaublich friedlich, still und ohne eine Fingerbewegung zu viel. An der Grenze ist keiner da. Wenn wir nicht doch einen Stempel bräuchten, könnten wir unbemerkt hier hindurch rollen. Doch so sehen wir uns gezwungen, die einzige Frau hinter einem der vielen Schalter aus ihrem Tiefschlaf zu wecken. Ganz versonnen schaut sie auf, als unser Klopfen sie erreicht. Sie winkt uns weiter, doch wir bleiben stehen. Uns ist es egal. Wir drücken uns den Stempel gern auch selbst in den Pass. Nur einen haben müssen wir. Nach unschlüssigen Minuten, was nun zu tun sein könnte, erscheint ein Mann auf der kleinen Grenz-Bühne.

Stung Treng/ Kambodscha N13°34’40.6“ E106°00’19.3“

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Wir sollen erst rüber nach Kambodscha laufen, dort fragen, ob wir mit dem Leo einreisen dürfen und dann wieder zurückkommen. Erklärt er uns mit ein paar löchrigen englischen Brocken. Wir verstehen den Sinn dahinter nicht. Warum gibt er uns keinen Stempel, der bescheinigt, dass wir ausgereist sind, um dann am nächsten Häuschen unser Glück mit der Einreise zu versuchen? Na gut. Dann gehen wir mal los, um zu fragen... Zu komisch finde ich die Situation, durch die Grenze zu laufen, bis zum nächsten Land, um uns dort zu erkundigen, ob wir kommen dürfen. Hatten wir so auch noch nie. Jede Grenze ist echt ein Abenteuer für sich. Und immer wieder springen neue Kasper aus der bunten Überraschungsbox, die wir zuvor nicht kannten. Heute heißt der Kasper „Carnet de Passage“. Der Mann am Kambodscha-Grenzhäuschen macht die Handbewegung, die einen großen Zettel andeutet. Den bräuchten wir. Von dieser Handbewegung auf das „Carnet de Passage“ zu schließen ist nicht ganz so einfach, doch es gelingt uns nach mehrfachem um die Ecke Denkens. Trotz Hitze! Was strahlen unsere Gesichter, da wir ein Carnet besitzen. Anderenfalls müssten wir den Leo jetzt hier an der Grenze stehen lassen, in die fünfhundertfünfzig Kilometer entfernte Hauptstadt nach Phnom Phen fahren, uns dort die Papiere besorgen, dann wieder irgendwie zurück kommen, um den Leo zu holen. Es ist uns vollkommen neu, dass Kambodscha ein solches Carnet sehen will. Davon war nirgends etwas zu lesen, bei unseren langen Recherchen im Vorfeld der Reise. Vielleicht sind wir die ersten Deutschen, die mit nem Fahrzeug einreisen wollen? Nun, obwohl die Hängematte leicht schaukelnd neben dem Mann wartet, gibt er uns schnell die nötigen Stempel in unser Carnet. Mit denen geht es zurück nach Laos. Dort zahlen wir zwei Dollar pro Person. Wahrscheinlich für die Farbe im Kissen, oder die Hebelbewegung des Armes. Auf jeden Fall bestätigen uns nun die Stempel, dass wir erfolgreich ausgereist sind. Weiter geht es zu dem kleinen Mann unter dem Sonnenzelt, erneut auf der kambodschanischen Seite. Er bittet uns zu warten. Denn Leos Räder müssen desinfiziert werden. Damit keine laotische Spinne ihr Netz in Kambodscha baut. Ein Spaß. Alles sieht hier nach „Ferienlager“ aus, in dem heute einmal „Grenze“ gespielt wird. Okay, nach dem Desinfizieren füllen wir unsere Visaanträge aus, knipsen ein Passbild daran und laufen wie im „Stationen-Park“ zur nächsten kleinen blauen Holzhütte. Dort rumst es erst einmal gewaltig. Ein Auto fährt von außen dagegen. Hm, noch mal Glück gehabt. Die Hütte steht. Für 32 Dollar pro Person bekommen wir unser Visum in den Pass geklebt. Die nächste Station ist der „Einreiseschalter“. Hinter einem anderen Holzverschlag. Nun nur noch das Einreiseformular ausfüllen, eine Weile warten und schon hebt sich die Schranke für uns. Willkommen im Königreich Kambodscha! Was hältst du nun in den nächsten Wochen für uns bereit? Wieder stehen wir am Beckenrand. Wieder heißt es springen. Das königliche Unbekannte wartet.

Kommentar

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    Hallihallo aus Dresden. ….leider hat das seit einiger Zeit nicht mehr die gewohnte Wirkung….oh, ah…aus DRESDEN. ..
    Also dann wünschen wir euch eine schöne Urlaubzeit in Shianoukville!
    Das hat uns damals gefehlt auf unserer Reise nach der Drachenboot WM in Penang/Malaysia. Ich hätte noch ein paar Tage Erholung gebraucht, um speziell die Erlebnisse in Cambodia zu verarbeiten, denn es war irgendwie anstrengend für mich, obwohl wir in Soweto waren, Townships in Kapstadt 1998 schon erlebt hatten und Favelas in Brasilien gesehen hatten, die Armut und der Müll in Cambodia habe ich flächendeckend empfunden und der wirkliche Zugang zu den Menschen War nicht so möglich, wie anderswo. In schmerzlicher Erinnerung ist mir die bettelnde Kinderschar von Angkor Watt geblieben – Mit „One Dollar Sir“ wurde der körperliche große Olaf immer wieder bestürmt….
    Ich bewundere und verstehe eure Beschreibung des Loslassen vom Job….és ist euch gelungen, wie wunderbar!
    Unser nächstes Ziel zum Jahresende heißt NAMIBIA.
    Bin gespannt auf weitere Berichte! Steht Malaysia noch auf dem Reiseprogramm, unbedingt! !!!

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    I wish good luck to you my friends! You are the goos hearted people I have ever met! Tilek


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