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Drachenläufer / Runner with paper dragon

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Drachenläufer / Runner with paper dragon

11.05.2015 Usbekistan / Taschkent / N41°19’31.2“ E069°15’38.6“

 

Wir schöpfen am Morgen gleich mit der ganz großen Kelle. Es zischt und dampft und brodelt in den Kesseln des „Plov Center“. Probieren können wir in dieser frühen Stunde noch nichts von all der Deftigkeit. Unsere Mägen plädieren für Ruhe. Doch den Leuten um uns herum scheint eine deftige Portion Plov zu jeder Tageszeit zu munden. Wir durchqueren laufend die Stadt und merken, dass wir uns inzwischen gut auskennen. Die Fremdheit der ersten Tage ist für uns von den Hausfassaden gefallen und wir genießen diese vertraute Atmosphäre. Heute ist „Bürozeit“. Das bedeutet, wir suchen uns ein Café mit Wifi und erledigen alles an email Beantwortungen und Telefonaten, was ansteht. In Kirgistan geben wir all unseren Kontaktpersonen Bescheid, dass sich unser Besuch bei Ihnen noch etwas verzögert, da wir wegen des Getriebes erst nach Kasachstan fahren. Die Berge Kirgistans würde der Leo gerade nicht verkraften. Für die nächsten angedachten Etappen in der Mongolei und China sind heute ebenfalls Vorplanungen zu treffen. Es ist Teil unseres Alltags, mit all unseren Bekannten des Weges, die wir trafen und die wir noch treffen wollen, in Kontakt zu sein. So ist es wie eine kleine Communité, die uns von Land zu Land begleitet und von Begegnung zu Begegnung anwächst. Ein Andenken möchten wir uns aus Taschkent mit auf die weitere Strecke nehmen. So suchen wir uns im kleinen Altstadtteil die Moschee aus dem 16. Jahrhundert aus, die Sten zeichnet. Allein ist er dabei nicht. Pausenlos kommen Kinder oder Gruppen an Erwachsenen vorbei, die ihn umlagern und einfach schauen. Sten spielt seine Rolle gut und lässt sich beim Zeichnen nicht aus der Ruhe bringen. Und dann, dann hören wir es laut Rauschen und Knattern, fast als wäre ein Mofa in der Luft unterwegs. Doch es ist ein Drachen, der ungestüm durch die Luft saust. Er ist groß und die Jungs haben alle Hände voll zu tun, um ihn zu bändigen. Die „Drachenläufer“. Wir haben sie gefunden! Ich sitze gebannt da und fühle mich von einer Sekunde auf die nächste in das Buch mit dem gleichen Namen versetzt. Ich habe es gelesen, ich habe den Film gesehen und nun rennen die Jungs vor meinen eigenen Augen auf dem Platz hin und her, wickeln mit vollkommenem Geschick die Schnüre auf und wieder ab. Sie sind ein eingespieltes Team, bei dem jede noch so kleine Bewegung zu sitzen scheint. Ich glaube, die Jungs hier würden den Wettbewerb unter den Läufern mit Abstand gewinnen! Von den Drachenläufern zum „Stammtisch der Deutschen Wirtschaft“. Zwei Mal pro Monat treffen sich die Deutschen Unternehmer Taschkents. Dariusch ist so freundlich, uns dazu einzuladen. Wir versuchen aus unserer Reisekleidung eine Kollektion zusammen zu stellen, die einem solchen Anlass einigermaßen gerecht wird und sehen wohl trotzdem wie die bunten Vögel aus. Macht nichts. Wir haben ein paar gute Gespräche mit einigen Herren am Tisch und finden es interessant, neben der sonst ganz privaten Seite, die wir kennen lernen, auch einmal einen Blick auf die Business Welt zu richten. Nach zwei Stunden löst sich die Runde auf. Genau passend, um sich nun noch bei Saule und ihrer lieben Familie zu verabschieden. Wir waren für ein paar Tage gefühlt ein Teil davon und liegen uns lange „Auf Wiedersehen“ sagend in den Armen. Unseren ganz eigenen Abschied von Taschkent nehmen wir auf einem Divan. In lauer Sommerluft und einem kühlen Bier.

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Taschkent / Usbekistan N41°19’31.2“E069°15’38.6“

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Sonst wird das Essen warm / Otherwise food becomes warm

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Sonst wird das Essen warm / Otherwise food becomes warm

10.05.2015 Usbekistan / Taschkent / N41°19’31.2“ E069°15’38.6“

 

Sergey besucht uns im Leo auf einen Sonntagmorgen Kaffee. Unsere kleine Form von Alltag. Für uns haben die Tage einen so anderen Rhythmus als zu Hause angenommen, die Themen sind komplett verschieden und welcher Wochentag gerade ist, spielt meist gar keine Rolle. Die Rahmung ist für uns die Länge des Visums und die Frage ist immer, wie schaffen wir es, in das nächste Land zu kommen? Was erwartet uns an der Grenze? Wie werden die Grenzer diesmal drauf sein? Wie kommen wir zu etwas Geld in dem nächsten Land und wie kann die Registrierung gelingen? Hier in Usbekistan zum Beispiel ist es notwendig, dass wir uns nicht ein Mal für die ganze Zeit, sondern an jedem einzelnen Tag registrieren lassen. Keine leichte Aufgabe für uns. Doch das ist die eine Seite unserer Tage. Auf der anderen Seite haben wir viele liebe Menschen um uns, denen wir begegnen, mit denen wir viel Spaß haben und die uns helfen, wo sie können. Sergey mit seinem Engagement für „Delicious Uzbekistan“ ist eines der vielen Vorhaben und frischen Ideen um den Dinge in Usbekistan mehr Farbe zu verleihen. Überall denken sich die Menschen hier etwas aus, um ihr Land bekannter und das eigenen Leben freudvoller zu gestalten. Wir sind uns zu Hause oft nicht bewusst, in welch vielfältiger und variantenreicher Welt wir leben. Es hat etwas Selbstverständliches für uns. Bei den Angeboten der Kultur und Kunst angefangen, bis hin zum Sport, und dem Essen. Wir sind daran gewöhnt, immer wieder aus einem großen Topf der Möglichkeiten zu schöpfen. Das macht unsere Tage bunt. Immer ist was los. Hier nehme ich es ganz anders wahr. Das Leben findet weniger bei all diesen Aktivitäten, als in und mit der Familie statt. Es hat auf diese Weise für mich etwas Ruhiges und Erdendes. Und was ist stimmig? Das Passende liegt wohl wie so oft in der Mitte. Für mich ist es momentan einfach ein bewusstes Wahrnehmen und ich denke darüber nach, wie es mir auch zu Hause gelingen kann, weniger vom ausgefüllten Kalender bestimmt zu werden und den spontanen Begegnungen mehr Raum zu geben. Auch dort, einfach mal zu bleiben, wenn es sich gerade gut anfühlt. Doch vielleicht ist es eine Träumerei von mir und wir schlüpfen schneller in alte Gewohnheiten hinein als es mir jetzt bewusst ist? Wir werden sehen.

Taschkent/ Usbekistan N41°19’31.2“E069°15’38.6“

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Zum Abschied schenkt uns Sergey eine Flasche seines eigenen Weines und verbindet es mit dem Wunsch, dass wir diese Flasche mit unseren Freunden in Deutschland gemeinsam leeren mögen und während dessen von ihm erzählen. Wir werden es gern tun! Darin sind wir uns einig! Am großen neu gebauten Stadion wartet Dariusch Eftikhar auf uns. Er ist der Bevollmächtigte der Delegation der Deutschen Wirtschaft für Zentralasien. Seit Wochen sind wir mit ihm per email und telefonisch in Kontakt. Nun freuen wir uns, ihn und seine Frau Svetlana persönlich kennen zu lernen. Wir haben die Verbindung zu ihm über ein befreundetes Paar aus Jena, die lange Jahre in Usbekistan gelebt und gearbeitet haben. Und auch Dariusch hat über die unterschiedlichsten Kanäle schon Einiges über uns gehört. Und doch ist es wie bei einem „blind date“, wenn man sich das erste Mal gegenüber steht. Wir sind uns sofort sympathisch und so sind die Begrüßung, das Willkommen heißen in seinem Heim, die herzliche Umarmung mit Svetlana, das fröhliche Bellen seines Hundes „Treu“ und das Öffnen des ersten kalten Bieres für uns quasi Eins. Von einem Augenblick auf den nächsten tauchen wir ein in die Welt der beiden. Es gibt für uns von der ersten Minute an so viel zu erzählen und gemeinsam kochen tun wir auch. Svetlana bereitet zwei Gerichte zu. Das eine heißt „Nokhodschurwa“ und das andere „Domlama“. Doch ich tituliere die Speisen spontan in „Suppe Svetlana“ und „Gemüsetopf Dariusch“ um. So lecker schmeckt es. So stark verbinde ich die Gerichte mit den beiden und so sehr freue ich mich schon auf den Tag, an dem ich mich selbst an der Zubereitung probiere. Beim vielen Reden kommen wir kaum zum essen. Und so muss ich herzlichst Lachen, über Dariuschs Formulierung: „Lasst uns anfangen, sonst wird das Essen warm.“ Wieder so eine wundervolle Umkehrung der Aussage, wie wir sie in Deutschland aussprechen würden. Bei uns in Mitteleuropa wird das Essen eben kalt und hier in der Hitze des Sommers warm. Köstlich! Tatjana und Schuchrad, langjährige Bekannte von Dariusch und Svetlana und unserer Freunde aus Jena, sind zum Essen eingeladen. Sten und ich stellen sozusagen das Bindeglied der langjährigen Freundschaften der Sechs heute untereinander dar. So gelingt es auch nach Jena zu telefonieren und die beiden dort sitzen gefühlt mit uns am Tisch. Die Stunden fliegen dahin, die Themen umkreisen uns und über allem liegt ein Lachen und eine Fröhlichkeit die uns alle miteinander beschwingt. Wir kosten den Tag aus bis nur noch wenige Minuten von ihm übrig bleiben und verabschieden uns herzlich und immer wieder vor unserem Leo. Es war unsere erste Begegnung, doch sicherlich nicht unsere letzte. Mit dieser Zuversicht winken wir einander zu, bis die Rücklichter des weißen Autos hinter der Häuserfront verschwinden.            

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Der Berg ruft / The mountain shouts

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Der Berg ruft / The mountain shouts

09.05.2015 Usbekistan / Taschkent / N41°19’31.2“ E069°15’38.6“

 

Die Luft nimmt ein Bad, die Berge trinken sich satt. Die ganze Nacht hindurch regnet es, als hätte es dies noch nie getan. Das Wasser fällt mit einer unbändigen Kraft vom Himmel und kämpft sich so bis zu unseren Träumen vor. Mit dem Sonnenaufgang ist der Spuk vorbei. Wolkenschwaden ziehen bedrohlich durch die Täler, um danach doch dem schmeichelnden Sonnenlicht Platz zu machen. Schließlich ist heute ist Feiertag. Der 09. Mai. In Moskau wird er als Tag des Sieges begangen. Hier in Usbekistan ist es der „Tag des Erinnerns und der Dankbarkeit“. Im Fernseher nebenan läuft die Übertragung der Parade vom Roten Platz. Die Kommentatoren geben sich alle Mühe, unsere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Doch wir üben lieber Dankbarkeit und machen uns auf in die Berge. Mit der Seilbahn wollen wir ganz nach oben fahren. Vorbei an Reitern mit ihren aufgeregten Pferden, an Frauen, auf dem Weg zu den Weiden. Alles sieht nach dem Regen der Nacht geputzt und wie frisch angestrichen aus. Das Grün der Almhänge ist heute besonders mutig in der Farbwahl. Fast etwas zu dick aufgetragen. So stechend leuchtet es. An der Seilbahn angekommen bin ich kurzzeitig überrascht. Aha, das ist die Seilbahn.... Holzgartenbänke mit einem Alibisicherheitsbügel hängen an den Seilen und laden uns ein, die tief liegenden Bergschluchten zu überqueren. Mein Magen zeigt mir an, dass er das hier gerade alles andere als lustig findet. Und so habe ich voll damit zu tun mich während der Fahrt auf den Himmel zu konzentrieren und ruhig zu atmen. Nur nicht nach unten schauen!!! Bei allem Bemühen um Entspannung merke ich doch, wie verkrampft meine Hand den dick grün gestrichenen Mittelholm umklammert, so dass ich jede Farbschicht zu spüren scheine. Oben angekommen belohnt uns der Blick in die Berge. Und auch das Schlottern meiner Knie lässt langsam nach. Überall wehen Stoffstücke im Wind und tragen auf diese Weise die Wünsche derer ins Tal, die ihr Hoffen hier oben angebunden haben. Ein ganz schönes „Gewünsche“ wabert durch die Luft. So viel Hoffnung braucht die Welt und jeder Einzelne, auf ihr lebt. Für den Weg nach unten entscheiden wir zwei uns spontan um. Nichts und niemand bekommt mich noch einmal auf diese fliegende Gartenbank. So machen wir allein eine Wanderung und genießen den Abstieg vom Berg. Unsere Beine freuen sich.

Usbekistan, Taschkent N41°19’31.2“E069°15’38.6“

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Merken wir doch, dass bei all dem Leo-Geholper zwar unsere Bauchmuskeln und der Oberkörper sehr gefragt sind, doch die Beine eher im Schlummer Modus dahin baumeln. Mittagszeit. Kochzeit. Die Sommerküche ist eröffnet! Schon seit gestern Nacht liegen die Rindfleischstücken in einer Marinade aus Zwiebeln, Kreuzkümmel und schwarzem Tee. Wieder etwas komplett Neues für uns. Schwarzer Tee macht das Fleisch mürbe. Die ganze Familie ist am wirbeln, da alle nach dem Bergausflug hungrig sind. Der Grill wird mit ganz normaler Kohle angeheizt und so braucht es etwas, bis ein Hauch von Wärme von ihr ausgeht. Doch irgendwann brutzeln die leckeren Schaschlik Stücke, aufgespießten Tomaten und Kartoffeln vor sich hin und verbreiten einen verführerischen Duft. Mir kommt es hier auf der Datscha vor als seien wir auf einem Kurzurlaub. „Urlaub auf der Reise“. Klingt vielleicht komisch. Ist aber so. Ich fühle mich vollkommen wohl gemeinsam mit Saule, Darija, der kleinen Zara, Ulugbek, den Großeltern und dem Hund, hier oben in den Bergen. Ich strecke mich auf der Sonnenliege aus, halte die Nase ins Licht und lasse mich fallen in unserer fröhlich, bunt zusammen gewürfelten Gruppe. Am Abend sind wir zurück in Taschkent und beim Umarmen von Saule, Darija und Zara wird mir noch einmal bewusst, welch schöne Zeit wir miteinander verbracht haben. Sommer. Lauer Abend. Feiertag. Das muss ausgekostet werden. Also treffen wir uns mit Assunta, der Italienerin, der wir Teppiche aus Chiwa mitgebracht hatten. Sie arbeitet bei der EU und lebt seit einigen Jahren hier in Taschkent. Zwei ihrer Freundinnen, eine Spanierin und eine Russin, gesellen sich zu uns. Und so wird es eine schallend lachende Nacht in einem georgischen Restaurant. Mit Storys aus der ganzen Welt.

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Zwischen Erdbeben und Blätterteig / Between earthquake and puff pastry

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Zwischen Erdbeben und Blätterteig / Between earthquake and puff pastry

08.05.2015 Usbekistan / Chimgan / N41°19’31.2“ E069°15’38.6“

 

Mannat, die Oma wartet schon. Wir steigen in dem abweisenden, dunklen Treppenhaus nach oben und wissen inzwischen, an welche der grauen Eisentüren wir klopfen müssen. Hinter der Tür finden wir eine ganz andere Welt. Gemütlich. Liebevoll. Ein richtiges zu Hause. Es duftet nach frischem Tee. Der Tisch ist für uns gedeckt. Im Frühstücksfernsehen läuft eine Gesundheitssendung. „Wasch das Gemüse ab“, „Iss weniger Zucker“, „Putz Dir regelmäßig die Zähne“, sind die hilfreichen Hinweise, die wir dem Programm heute Morgen entnehmen. Aufgeklärt und frisch gestärkt ziehen wir los. Vor dem „Hotel Usbekistan“ stehen ein paar Studenten der hiesigen Universität mit ihrer Deutschlehrerin. Sie steigen gemeinsam mit uns in den Bus zur Stadtrundfahrt. Unser Plan ist es, auf diese Weise einen Überblick über Taschkent zu bekommen. Denn die Stadt ist in ihrer Weite schwer für uns zu fassen. Ihr Plan ist es, im Deutschunterricht einen Vortrag über die eigene Stadt zu halten. Also ist Aufmerksamkeit gefragt. Das geht schließlich alles in die Note ein... Ich freue mich, dass ich ganz einfach um mich schauen kann, ohne Druck, mir ja die richtigen Jahreszahlen zu merken. Vorbei geht es an einer Anlage für die Opfer der Stalinzeit, einer niegelnagelneuen weißen Moschee, den zahlreichen Regierungsgebäuden, dem Fernsehturm, verschiedenen Basaren und endlich auch einem kleinen Zipfel der ehemaligen Altstadt. Nach ihr hatten wir gesucht und sie nun auf diese Weise gefunden. Leider hat das Erdbeben im Jahr 1966 unheimlich viel an Bausubstanz zum Einsturz gebracht und so ist einzig eine Fläche von vielleicht fünfhundert mal fünfhundert Metern übrig geblieben, auf der noch heute die Bauten der vergangenen Zeiten ihre Standfestigkeit feiern. Wir sind in der Stadt und das bedeutet für uns oft, dass wir eine Verabredung haben. Gerade rechtzeitig hält der Bus an seinem Ausgangspunkt und wir wechseln in das nächste Auto zu Sergey. Freunde von ihm erwarten uns zum Kochen. Und heute mit der großen Besonderheit, das Essen mit einem passenden Wein abzurunden. Wir sind gespannt auf den usbekischen Wein von Sergey und tatsächlich hoch erfreut, als wir die ersten Schlucke probieren.

Chimgan / Usbekistan N41°19’31.2“E069°15’38.6“

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Die Gläser leeren sich schnell. Ein sicheres Zeichen dafür, dass der Wein lecker ist. Sergey freut es. Ist es doch nicht leicht, in einem Land, in dem der Wein kaum eine Lobby besitzt, diese Kultur zu etablieren. Sonne und frische Trauben gibt es genug. Geht es Sergey nun darum, den Wein so populär zu machen, dass über die Gäste des Landes auch die eigene Bevölkerung ein Gefühl dafür entwickelt, dass es zu Plov und Schaschlik nicht immer Wodka sein muss, sondern ein leckerer Tafelwein eine geniale Bereicherung sein kann. Über das Essen und Trinken philosophierend bereiten wir gemeinsam mit Zukhra und Julduz eine für uns neue Variante des Plovs zu. Jede Region hat ihr ganz eigenes Rezept und jeder schwört darauf. An der Art der Plov Zubereitung kann man quasi erkennen, aus welcher Gegend derjenige stammt. Reis und Teig, das sind die Dinge, die hier unentwegt zubereitet werden. Und so ist jede Frau, der wir bisher begegne sind, eine begnadete „Teigausrollerin“. Eine solche Fertigkeit und so viele zu berücksichtigende Details beim Ausrollen, habe ich noch nie zuvor erlebt. Ich stelle mich dabei wohl etwas holprig an. Werde aber für meine Fortschritte gelobtJ Sten probiert sich am Blätterteig und ist voller Eifer dabei. Seine Teigtaschen sind die besten... Ist uns heiß von der Wärme des Tages, vom leckeren Wein, den angeregten Gesprächen, dem Rollen des Teiges oder vom gemeinsamen Essen? Wahrscheinlich ist es ein dankbarer Mix aus allem. Doch das war es bei weitem noch nicht für heute. Beglückt und beschwingt von den letzten Stunden machen wir uns auf zu unserem nächsten Treffpunkt. Ein Freund Saules hat versprochen, mit uns gemeinsam in die Berge zu fahren. Fix ein paar Sachen zusammen suchen und los. Schnell, schnell, damit wir pünktlich sind. Um 17 Uhr ist Abfahrt. Und Eingekauft haben wir auch noch nicht... Wieder so ein Wollfaden, den wir uns da selbst über den Weg gespannt haben. Wann verstehen wir endlich, dass verabredete Zeiten hier mehr ein annähernder Vorschlag als ein fester Termin sind? Wir können offensichtlich nicht aus unserer Haut heraus und steigen um 19 Uhr in aller Ruhe alle zusammen ins Auto, um nach Chimgan zu fahren, zur Datscha der Familie in den achtzig Kilometer entfernt liegenden Bergen. Für mich vergehen die zwei Stunden Fahrt wie ein Finger Schnipsen. Ich schlafe und verschone mich dabei von all den Schlaglöchern und chaotischen Manövern der Fahrer um uns herum. Erst die Frische und Klarheit der Berge lässt mich wieder erwachen. Nach der stickigen und staubigen Luft der Stadt ist es hier oben das wahre Paradies.

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Von Plattenbauten und anderen Stapeln / From prefabricated buildings and other piles

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Von Plattenbauten und anderen Stapeln / From prefabricated buildings and other pile

07.05.2015 Usbekistan / Taschkent / N41°19’31.2“ E069°15’38.6“

 

Ein Plattenbau mit blauen Streifen schaut am Morgen zu uns in den Leo herein. Er steht in direkter Nachbarschaft zu uns, ragt weit in den Himmel und zeigt ganz ungeniert all seine Neugier. Die Menschen, die in ihm wohnen sind es auch und schauen verwundert, was für ein Gefährt da vor ihrem Haus die Nähe sucht. So etwas gab es hier noch nie. Doch als die Polizisten kommen und nachfragen, wer wir sind, bekommen sie zur Antwort, dass alles seine Richtigkeit. Wir scheinen aufgenommen zu sein, in die Gemeinde des Hinterhofes, zwischen Fußballplatz, Gas- und Wasserleitungen. Unser Frühstück bereitet Saules Mutter zu. Dicken Haferbrei gibt es. Den kenne ich noch von meiner eigenen Oma. Sie hat ihn mir auf den Tisch gestellt, wenn ich in den Ferien zu ihr kam. So sitze ich essend und erinnere dieser fernen Tage. Gestärkt machen wir uns auf, um per Fuß einen ersten Eindruck von Taschkent einzufangen. Die Distanzen sind groß, die Wege lang. Also dann doch lieber den Arm leicht nach unten ausgestreckt. Das Zeichen hier für ein Taxi. Keine Minute dauert es und wir steigen ein. „Taxifahrer“ ist hier quasi jeder. Warum eine Strecke allein zurücklegen, wenn man doch jemanden für ein paar „Sum“ mitnehmen kann? Ein gängiges und funktionierendes System. Dann raus in die Enge und das Gedränge des Basars. Die Geschäftigkeit und das Treiben sind ähnlich dem in der Türkei oder in Iran. Anders ist, dass die Verkäufer geduldig auf ihre Kundschaft warten und nicht so fordern sind. Ich finde es angenehm und fast entspannend, auf diese Weise von Stand zu Stand zu gehen. Sten als passionierter Brotbäcker probiert sich aus in der Backstube. Er will den Teig ebenso mit einem geschickten Schwung an die Innenseite des Ofens schlagen, wie es die Männer hier tun. Haltungsnote 10, doch abgesenkte Haare auf dem Kopf, sind sein Ergebnis. Es ist wahnsinnig heiß in den Öfen und man muss sich für einen kurzen Augenblick ziemlich tief in sein Inneres beugen, um den Teig zu platzieren. Wir zollen den Bäckern unseren Respekt, die bei der Wärme, die schon im Außen herrscht, Tag für Tag der Hitze der Öfen ausgesetzt sind. Zweimal pro Minute nähern sie sich der Feuerhöhle. Überall stehen ausgediente Kinderwagen, ohne Kinder darin, herum. Sie dienen als Transportkarren, für die frischen Brote. Warum eigentlich nicht.

Taschkent / Usbekistan N41°19’31.2“ E069°15’38.6“

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Pragmatismus scheint hier generell an der Tagesordnung zu sein. Es wird nicht lange „gefackelt“, sondern einfach gemacht. Und „gemacht“ wird an allen Ecken. Heerscharen an Straßenkehrern, oder Reparaturbrigaden sind pausenlos beschäftigt. Löcher zu stopfen und auszubessern gibt es viele. Und so sind alle in Bewegung. Mittags treffen wir spontan Sergey Danilov. Er hat es sich zur Aufgabe gestellt die usbekische Küche bekannter zu machen und sammelt somit im ganzen Land besondere Rezepte und Zubereitungsarten. Von uns möchte er wissen, was wir als Ausländer an den hiesigen Speisen mögen, um auf diese Weise den Geschmack der Besucher zu verstehen. Wir probieren vom usbekischen „Plov“ und sind begeistert. Der Reis ist aldente und zu den Möhren und Fleisch gesellen sich Rosinen, die dem Ganzen eine süßliche Note verleihen. In großen Gruppen sitzen die Leute hier um eine Platte „Plov“ herum und bedienen sich. Heute ist Donnerstag. Wie uns Sergey erzählt DER Tag, um Plov zu essen. Früher, laut seiner Erzählung, das Zeichen der Frau, dass sie an diesem Abend bereit für ihren Mann wäre. Ob die Männer um uns herum deshalb so viel davon essen? Ich weiß es nicht und lasse den Gedanken einfach stehen. Am Nachmittag nehmen wir eine Kostprobe vom modernen Taschkent. 1966 gab es ein schweres Erdbeben, in dessen Folge die Stadt fast gänzlich neu aufgebaut werden musste. So ist wenig Altbausubstanz zurück geblieben. Dafür gibt es umso mehr Bauten und Plätze aus Sowjetzeiten. Großzügig, weitläufig und mit einem Hang zum Monumentalen begegnet uns Taschkent. Abends wird gekocht. Gemeinsam mit Mannat, der Großmutter, Saule, der Mutter, Dariya und Zara, ihren beiden Töchtern, Laure, der Tante und Gledi dem Pudel machen wir uns daran „Hanum“ und „Manti“ zuzubereiten. Zwei Varianten gefüllter Teigtaschen. Unser nächtlicher Verdauungsspaziergang führt uns zur ehemaligen Wohnung von Dina, unserer Mitarbeiterin in Jena. Welch eigenwilliges Gefühl. Sie ist in Deutschland. Wir stehen hier. Quasi in ihrem früheren Leben, um ihr davon zu berichten, dass aus ihrer Wohnung nun ein modernes Restaurant geworden ist. Wir machen Fotos zur Erinnerung und spüren trotz allem Veränderten noch einen Hauch der alten Tage. Auch wenn das Sitzen auf einer Mauer hier nicht wirklich erwünscht ist, die großen freien Treppen, mit Blick auf den „Registan“, die überall sonst auf der Welt wohl von Unmengen an Leuten belagert werden würden, hier abgesperrt sind und die Polizisten mit ihren Trillerpfeifen genauest darauf achten, dass keiner seinen Fuß an eine nicht erwünschte Stelle setzt, finden wir einen Platz, von dem aus wir gut sehen können. Wir lassen uns Zeit und das Treiben auf uns wirken. Sten zeichnet und bekommt auf diese Weise ein Gefühl für die Feinheiten der Gebäude. Es ist seine ganz eigene Zwiesprache die er hält und die ihn eintauchen lässt in das Eigenleben, welches sich vor ihm auftut. Für mich ist es wie der Besuch eines sich frei entwickelnden Improvisations-Theaterstückes. Kleine Szenen spielen sich, zusammenhangslos wirkend, an jeder Ecke des Platzes ab und sind doch alle gemeinsam Teil der gleichen Geschichte. Ob es der Junge ist, der stolpert und hinfällt und dabei mit einem lauten Knirschen sein IPad über den Platz schlittert, oder das Mädchen in hochhackigen Schuhen, welches eine halbe Stunde lang Selfies von sich macht und leider immer wieder unzufrieden mit dem Ergebnis zu sein scheint. Die großen weißen Marmortreppen, die vielleicht nur an Feiertagen zu betreten sind, werden mit vollster Hingabe von zwei Frauen gekehrt. Dabei nimmt sich jede eine der Stufen vor, um diese Meter für Meter mit dem Besen, aus zusammen gebunden Sträuchern, zu fegen. Zuschauen ist Meditation und das Kehren selbst wohl auch, so behutsam arbeiten sie sich voran, als seien sie für den Rhythmus auf dem Platz zuständig, den sie mit ihren Besen vorgeben. Dazwischen drängen sich immer wieder die schrillen Pfiffe der Polizisten in meine Gehörgänge und bringen ein wenig Tempo in die Szene. Zwischen all dem hüpfen Mädchen umher, rollen Gruppen von bunt be-Kleid-eten Frauen durch das Bild, eilen Männer in ihren traditionellen Hosen und Stiefeln im rechten Moment zur Auflockerung über die „Bühne“, demonstrieren Wachhabende Autorität. Ich fotografiere sie, sie fotografieren mich. Immer wieder kommen Leute vorbei und bitten um ein gemeinsames Foto. Ich sehe für sie wahrscheinlich genau so fremdartig aus, wie sie für mich. Und so haben wir alle miteinander Spaß. Dann brechen wir auf und suchen auf der Karte nach unserem nächsten Ziel. Es ist das dreihundert Kilometer entfernt liegende Taschkent. Die Hauptstadt Usbekistans. Wir bitten darum, dass der Leo gut durchhält. Ist ja leider unsere Getriebe-Geschichte noch immer nicht zu Ende erzählt. Wir kommen langsam voran. Doch haben wir immerzu mit dem zu heiß Laufen des Getriebes zu tun. Und da es nicht 100%ig das Passende ist und weniger Zähne in den Zahnrädern hat, beanspruchen wir den Motor und Hauptgetriebe ebenfalls über die Maße. Es liegen aber noch Länder mit schwer befahrbarem Gelände vor uns und so sind wir gerade mit Hilfe und Unterstützung aus Deutschland dabei, ein anderes Getriebe zu organisieren. Dieser Fakt zieht gleich einen Rattenschwanz an anderen Entscheidungen nach sich, die getroffen werden wollen und für die Lösungen zu finden sind. Alles hängt immer wieder an den Visa, die umzustellen und neu zu beantragen sind. Nur ist eben genau das nicht ganz einfach. So haben wir als Erstes die Route abgeändert und werden nach Usbekistan nicht in das bergige Kirgistan fahren, sondern gleich erst einmal wieder nach Kasachstan. Diesmal nun im Osten des Landes. In Kasachstan kennt man uns schon und es ist überhaupt möglich, ein Getriebe anliefern zu lassen. Und, zwischen Deutschland und Kasachstan gibt es bis 15. Juli 2015 die einjährige Regelung, dass Deutsche auch ohne Visum für zwei Wochen einreisen können. Wir hoffen, dass die kasachischen Grenzer diese Regelung auch kennen und uns ins Land lassen. Wie es dann weiter geht halten wir uns momentan erst einmal offen. Denn wenn wir hier Eines wirklich begreifen, dann ist es das Verstehen, dass jede weitere Vorplanung gern ein Gespräch beim Bier sein kann, aber mit dem was dann tatsächlich geschieht herzlich wenig zu tun hat. „Wir werden sehen“, ist unser Satz, der hier zu jeder Situation der passende Gedanke ist und freuen uns, am Abend wohlbehalten in Taschkent anzukommen und bei den Freunden von Dina, unserer lieben usbekischen Mitarbeiterin in Jena, willkommen geheißen zu werden.  

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Wir werden sehen / We want to see

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Wir werden sehen / We want to see

06.05.2015 Usbekistan / Taschkent / N41°19’31.2“ E069°15’38.6“

 

Einen Platz zum Schlafen fanden wir in einer Seitenstraße, ganz in der Nähe des Zentrums. Es ist immer wieder ein kleines Abenteuer, für Leo eine geeignete Stelle zu finden. In der freien Landschaft ist das hier weniger die Frage. Da können wir quasi überall Halt machen und unser Lager aufschlagen. Die Städte sind anders. Jede Einfahrt in eine Stadt lässt unseren Puls nach oben schnellen. Doch in den ehemaligen sowjetischen Gegenden sind die Straßen meist weiter und offener, so dass wir nur ab und an die Köpfe einziehen, um unter den tiefhängenden Kabeln hindurch, und um die engen Ecken und brüchigen Wege herum zu kommen. Gefahren wird in allen Ländern Asiens, in denen wir bisher waren, genau so chaotisch. Die Regel scheint in jedem Fall zu sein, dass es keine Regel gibt. Und so ist es immer wie auf dem Rummel beim Auto Scooter fahren. Wir bräuchten 360 Grad Augen. Sten bekommt das mit dem Fahren im Gewusel sehr gut hin und mein Job ist es, „Auto überholt rechts“, „Vorsicht, tiefes Loch“, „Achtung Gulli ohne Deckel“, „Langsam, der schießt vor uns auf die Straße“, „Mann mit Esel ist zwischen uns und dem Auto“ und ähnliches zu sagen. Auf diese Weise sind wir ein eingespieltes Team, wenn es darum geht, voran zu kommen.   Geweckt werden wir vom Duft des frischen Brotes, der aus einem der Häuser dringt und von den Stimmen der Leute und Vögel, die zu uns hallen. Städtisches morgendliches Treiben herrscht um uns herum. Wir wollen noch bleiben. Irgendwie fühlt es sich nicht nach „gehen“ an. Der „Registan“ lädt uns erneut zu sich und wir folgen gern seinem Ruf.

Taschkent / Usbekistan N41°19’31.2“E069°15’38.6“

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Auch wenn das Sitzen auf einer Mauer hier nicht wirklich erwünscht ist, die großen freien Treppen, mit Blick auf den „Registan“, die überall sonst auf der Welt wohl von Unmengen an Leuten belagert werden würden, hier abgesperrt sind und die Polizisten mit ihren Trillerpfeifen genauest darauf achten, dass keiner seinen Fuß an eine nicht erwünschte Stelle setzt, finden wir einen Platz, von dem aus wir gut sehen können. Wir lassen uns Zeit und das Treiben auf uns wirken. Sten zeichnet und bekommt auf diese Weise ein Gefühl für die Feinheiten der Gebäude. Es ist seine ganz eigene Zwiesprache die er hält und die ihn eintauchen lässt in das Eigenleben, welches sich vor ihm auftut. Für mich ist es wie der Besuch eines sich frei entwickelnden Improvisations-Theaterstückes. Kleine Szenen spielen sich, zusammenhangslos wirkend, an jeder Ecke des Platzes ab und sind doch alle gemeinsam Teil der gleichen Geschichte. Ob es der Junge ist, der stolpert und hinfällt und dabei mit einem lauten Knirschen sein IPad über den Platz schlittert, oder das Mädchen in hochhackigen Schuhen, welches eine halbe Stunde lang Selfies von sich macht und leider immer wieder unzufrieden mit dem Ergebnis zu sein scheint. Die großen weißen Marmortreppen, die vielleicht nur an Feiertagen zu betreten sind, werden mit vollster Hingabe von zwei Frauen gekehrt. Dabei nimmt sich jede eine der Stufen vor, um diese Meter für Meter mit dem Besen, aus zusammen gebunden Sträuchern, zu fegen. Zuschauen ist Meditation und das Kehren selbst wohl auch, so behutsam arbeiten sie sich voran, als seien sie für den Rhythmus auf dem Platz zuständig, den sie mit ihren Besen vorgeben. Dazwischen drängen sich immer wieder die schrillen Pfiffe der Polizisten in meine Gehörgänge und bringen ein wenig Tempo in die Szene. Zwischen all dem hüpfen Mädchen umher, rollen Gruppen von bunt be-Kleid-eten Frauen durch das Bild, eilen Männer in ihren traditionellen Hosen und Stiefeln im rechten Moment zur Auflockerung über die „Bühne“, demonstrieren Wachhabende Autorität. Ich fotografiere sie, sie fotografieren mich. Immer wieder kommen Leute vorbei und bitten um ein gemeinsames Foto. Ich sehe für sie wahrscheinlich genau so fremdartig aus, wie sie für mich. Und so haben wir alle miteinander Spaß. Dann brechen wir auf und suchen auf der Karte nach unserem nächsten Ziel. Es ist das dreihundert Kilometer entfernt liegende Taschkent. Die Hauptstadt Usbekistans. Wir bitten darum, dass der Leo gut durchhält. Ist ja leider unsere Getriebe-Geschichte noch immer nicht zu Ende erzählt. Wir kommen langsam voran. Doch haben wir immerzu mit dem zu heiß Laufen des Getriebes zu tun. Und da es nicht 100%ig das Passende ist und weniger Zähne in den Zahnrädern hat, beanspruchen wir den Motor und Hauptgetriebe ebenfalls über die Maße. Es liegen aber noch Länder mit schwer befahrbarem Gelände vor uns und so sind wir gerade mit Hilfe und Unterstützung aus Deutschland dabei, ein anderes Getriebe zu organisieren. Dieser Fakt zieht gleich einen Rattenschwanz an anderen Entscheidungen nach sich, die getroffen werden wollen und für die Lösungen zu finden sind. Alles hängt immer wieder an den Visa, die umzustellen und neu zu beantragen sind. Nur ist eben genau das nicht ganz einfach. So haben wir als Erstes die Route abgeändert und werden nach Usbekistan nicht in das bergige Kirgistan fahren, sondern gleich erst einmal wieder nach Kasachstan. Diesmal nun im Osten des Landes. In Kasachstan kennt man uns schon und es ist überhaupt möglich, ein Getriebe anliefern zu lassen. Und, zwischen Deutschland und Kasachstan gibt es bis 15. Juli 2015 die einjährige Regelung, dass Deutsche auch ohne Visum für zwei Wochen einreisen können. Wir hoffen, dass die kasachischen Grenzer diese Regelung auch kennen und uns ins Land lassen. Wie es dann weiter geht halten wir uns momentan erst einmal offen. Denn wenn wir hier Eines wirklich begreifen, dann ist es das Verstehen, dass jede weitere Vorplanung gern ein Gespräch beim Bier sein kann, aber mit dem was dann tatsächlich geschieht herzlich wenig zu tun hat. „Wir werden sehen“, ist unser Satz, der hier zu jeder Situation der passende Gedanke ist und freuen uns, am Abend wohlbehalten in Taschkent anzukommen und bei den Freunden von Dina, unserer lieben usbekischen Mitarbeiterin in Jena, willkommen geheißen zu werden.

Platzhirsch / The unique square

05.05.2015 Usbekistan / Samarkand / N39°39’18.3“ E066°58’46.5“

 

Mehr als 2.700 Jahre alt ist Samarkand. Die Stadt, die in ihren früheren Zeiten Marakanda hieß. Alexander der Große war hier und soll schon 329 vor Christus gesagt haben: „Alles was ich über die Schönheit dieser Stadt hörte, ist tatsächlich wahr, außer dass sie viel schöner ist, als ich es mir vorgestellt habe.“ , Dschingis Chan rollte mit seinen Truppen über die Stadt. Sie wurde zerstört, doch überlebte. Samarkand war einst die wichtigste Kultur- und Handelsstadt Mittelasiens. Welche Geschichte. Welche Geschichten. Gesehen und erlebt hat sie schon alles. Von höchstem Prunk und Ansehen als Stadt „des Planeten herrlichster Antlitz“ oder „glanzvolles Antlitz der Erde“ tituliert bis hin zu den Jahren 1720 bis 1770, in denen die Stadt gänzlich unbewohnt war. Die russischen Herrscher machten später eine „Provinzhauptstadt mit Eisenbahnanschluss“ aus Samarkand. Ein unbekannter Dichter schrieb vor langer Zeit: „...du kannst die Pyramiden anschauen und das Lächeln der Sphinx bewundern. Du kannst das weiche Singen des Adriawindes hören und ehrfurchtsvoll vor der Akropolis knien, du kannst von Rom und seinem Collosseum gefangen sein, entzückt sein von Notre Dame in Paris oder dem alten Mailänder Dom. Aber wenn Du einmal Samarkand gesehen hast, wirst du immer von seiner Magie verzaubert bleiben.“ Mit diesen Worten im Ohr reisen wir heute in die Stadt und stehen nun leibhaftig und mit unseren eigenen Füßen auf dem „Registan“. DEM Platz Samarkands, DEM Wahrzeichen Usbekistans. Über ihn schrieb George Curzon Ende des letzten Jahrhunderts: „...der nobelste öffentliche Platz. Ich kenne nichts in Europa, dass ihm in Einfachheit und Grandiosität nahe kommt, sogar nichts, das sich mit ihm vergleichen ließe. Keine europäische Stadt ließe sich finden, in der ein freier Platz auf drei Seiten von gotischen Kathedralen umgeben sei.“ „Registan“ heißt übertragen „Sandplatz“. Hier fand Markttreiben satt, Gesetze wurden verkündet, Hinrichtungen abgehalten, später Militärparaden. Der Boden scheint all das aufgesogen zu haben und strahlt es heute mit seiner Wärme des Tages an uns zurück. Wir fühlen uns besonders berührt, dass es uns vergönnt ist, ihr zu sein. Das Blau zu spüren, die Ornamente zu atmen, die Verzierungen zu schmecken. Wir nehmen uns Zeit zum Betrachten und sind doch nicht in der Lage die unzählbare Menge an Details in uns aufzunehmen. Ich habe das Gefühl, hier tagelang sitzen zu wollen. Einzig geradeaus schauend, würde es mich nicht langweilen. Vielmehr könnt sich erst dann die Fassettenfülle vollkommen in mir ausbreiten und ein vorsichtiges Begreifen einsetzen. So versuche ich die Formen in mich aufzunehmen und verliere mich sogleich darin. Immer wieder schaue ich auf das Ganze, springe zwischen dem Platz an sich, den einzelnen Gebäuden, den Medresen, die öffentlichen Schulen des islamischen Rechts, und deren Einzelheiten hin und her.
Für mich ist der „Registan“ der Platzhirsch. Der Platz aller Plätze.    

Samarkand/ Usbekistan N39°39’18.3“E066°58’46.5“

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Kopftuchparade / Parade of headscarfs

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Kopftuchparade / Parade of headscarfs

04.05.2015 Usbekistan / Buchara / N39°46’24.4“ E064°25’23.1“

 

Ich glaube, eine solche Schönheit geht hervor aus dem entbehrungsreichen Weg, der hierher führt. Das Land ist Wüste, welches wir durchqueren. Nichts als Sand, soweit der Blick es schafft durch die flimmernde Hitze ein mehr oder weniger scharfes Bild zu erzeugen. In mir formt sich der Gedanke, dass auch die Baumeister zu allen Zeiten durch die Wüste gekommen sind. Es ist heiß, es ist trocken, das Blut wird dicker vom wenigen Wasser, welches zur Verfügung steht. Die Gedanken verzerren sich. Tagträumend ziehen sie dahin. In ihren Köpfen entstehen die herrlichsten Gebäude mit grazilen Türmen, gemütlichen Nischen, verborgenen Schattenplätzen, reichen Verzierungen. Ich stelle es mir vor wie bei einem geliebten Menschen, dem man für lange Zeit nicht begegnen kann. Er wird immer schöner und die Zeit mit ihm in der Erinnerung täglich glückseliger und vollkommener. Man malt sich die Körperformen aus, die Details des Gesichtes, der Hände. Man erinnert der Gesten und erfreut sich daran. Die Sehnsucht als Baumeister, die Fata Morgana als Inspiration. Und ich? Ich stehe nun in Buchara vor dieser Pracht aus einladenden Karawansereien, bunt verzierten Koranschulen und überwältigenden Moscheen, die den gedanklichen Wunschbildern der Baumeister entsprungen sind. Einem Märchen gleich. Mich fragend, ob es möglicherweise das Märchen selbst ist. Irgendwie meinen wir, dass hinter jeder Ecke gleich der „kleine Muck“ hervorgerannt kommen müsste, oder „Aladien“ mit seiner Wunderlampe am Boden sitzt. Das Sonnenlicht scheint Teil des Bauplans gewesen zu sein. So wunderbar ergänzt die warmgelbe Farbe des Lichtes die blauen Ornamente, bringen die Schlagschatten die Muster im Lehm erst richtig zur Geltung. Bewegung kommt ins Bild durch all die Männer und Frauen, die über die Plätze und durch die Gassen laufen. Ihre bunten Kleider sind Farbtupfer im üppigen Spiel der Vielfalt. Alles sieht aus wie in einem Gemälde, welches den Titel trägt: „Phantasie des Orients“. Und auch Sten setzt sich und findet die Ruhe, lange auf eines der Gebäude zu schauen, um es zu zeichnen. Ja, Buchara hat es uns angetan. Und so bleiben wir. Wir wollen die Stadt in ihrem Licht des Tages sehen, und in der Veränderung, die ihr die Nacht beschert.

Usbekistan/ Buchara N39°46’24.4“E064°25’23.1“

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Zwischen „Kizilkum“ und „Karakum“ / Between „Kizilkum“ and „Karakum“

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Zwischen „Kizilkum“ und „Karakum“ / Between „Kizilkum“ and „Karakum“

03.05.2015 Usbekistan / Gazli / N40°23’26.9“ E063°07’59.7“

 

Kinderlachen. Kindergeschrei. Es klingt, als erwachten wir im Freibad. Um unseren Leo herum tummeln sich an diesem Sonntagmorgen Mädchen und Jungen allen Alters mit ihren Schulklassen. Von weit her scheinen sie angereist. Aus Unmassen von Bussen quellen die bunten Mengen an Kindergesichtern heraus. Alle haben sie sich chic gemacht, um sich Chiwa anzusehen. Sonntag ist der Tag der Klassenausflüge, wird uns erzählt. Wir versuchen uns einen Weg mit dem Leo durch all die quer stehenden Busse, den Überblick wahrenden Polizisten, vergnügten Kinder und ernst blickenden Lehrerinnen zu bahnen. Es macht Spaß dieses Wimmelbild anzusehen und doch sind wir froh, als wir ihm entkommen können. Wir nutzen die Gelegenheit, um noch ein paar Dinge zu organisieren. Wir brauchen eine Hotelregistrierung, Geld, Diesel und unsere Telefonkarte ruft auch nach einer Aufladung mit „Sum“, der hiesigen Währung. Hannelore und Helmut sind uns bei all dem eine große Hilfe und so findet sich für jedes der Themen eine Lösung. Ja, lückenlos müssen wir bei der Ausreise an der Grenze nachweisen, wo wir die Nächte verbracht haben. Keine so leichte Aufgabe, für Leute wie uns, die im eigenen Auto entlang der Strecke schlafen. Wir sind auf hilfsbereite Hotelbesitzer angewiesen, die unsere Situation verstehen und eine Möglichkeit finden. Alles scheint hier seine Regel und Vorschrift zu haben. Unser Job ist es nun, in kurzer Zeit heraus zu finden, was zu tun ist und wo die größten „Fettnäpfe“ stehen, wollen wir nicht sofort in jedes dieser treten. Es fühlt sich ein wenig wie ein Hindernislauf mit verbundenen Augen an. So nehmen wir die Unterstützung hier in Chiwa gern an, um Geld zu tauschen und ein wenig Diesel nachzufüllen, den es hier offiziell überhaupt nicht gibt. Es scheint für alles Wege zu geben, verschlungen zwar, doch immerhin vorhanden. In einem minikleinen „Tante Emma Laden“ können wir zwischen Brot, Nudeln und Zwiebeln unsere Telefonkarte aufladen. Das System ist einfach. Man tippt die eigene Nummer ein, wählt die Höhe des Betrages und schon erhält man nach dem Bezahlen eine Nachricht aufs Telefon, dass der Transfer geglückt sei. Ein lustiger Kontrast.

Usbekistan, Gazli N40°23’26.9“E063°07’59.7“

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Diese Ruck-Zuck-Technik auf der einen Seite und der jungen Frau im Laden, mit ihrem schreiendem Baby auf dem Arm, umgeben von all den Körnersäcken, Flaschen und Tüten, auf der anderen. Ich kann mich nicht satt erleben, an diesen vielen kleinen Details, die unentwegt um uns herum geschehen. Stehen wir auf der Straße, kommt einfach ein junger Mann aus einem Haus gelaufen, um uns ein Brot für den Weg zu schenken. Eine Frau betet für uns, die Kinder auf dem Fahrrad probieren schüchtern ihre ersten gelernten englischen Worte aus und freuen sich, als sie merken dass wir sie tatsächlich verstehen. Alle freuen sich, wenn ich ein Foto von ihnen mache. Es scheint für sie immer wieder das Gefühl darin zu stecken, auf diese Weise mit uns auf Reise zu gehen. Wir setzen unseren Weg zwischen der Karakum- und der Kizilkum-Wüste fort. „Karakum“ bedeutet schwarzer oder bedrohlicher Sand. Sie liegt auf 350.000 Quadratkilometern im Süden des Landes. Nördlich des Amudarja nimmt die „Kizilkum“, die „rote Wüste“, eine Fläche von 300.000 Quadratkilometern ein. Was für Zahlen! Wie oft ist ein Fuß vor den anderen zu setzen, um eine solche Fläche zu durchqueren? Hier entlang verlief vom sechsten Jahrhundert vor Chr. bis in die Zeit um 750 nach Chr. ein Strang der Seidenstraße. Danach führten die Einflüsse des Islams und der Fall Konstantinopels zum Ende des Handelsweges auf den Routen der Seidenstraße. Karawanen mit mehr als einhundert Mann und mehreren hundert Lasttieren waren oft sechs bis acht Jahre unterwegs, um von China nach Europa und wieder zurück zu gelangen. Beschwerlichkeiten jeder Art hatten sie zu bestehen. Gebirge mussten überquert werden, Winter waren zu überstehen und befestigte Wege durch die Wüste gab es nicht. Einzig in China und den römischen Gebieten gab es Straßen, die das Gehen erleichterten. Während wir im Leo sitzen und uns langsam durch die Wüste bewegen sehe ich die geschundenen Karawanen vor meinen Augen, wie sie sich Meter für Meter vorwärts bewegten. Wie unglaublich muss für jeden Einzelnen von ihnen damals das Glücksgefühl gewesen sein, wenn erst als Fata Morgana und dann langsam als reale Kontur eine Stadt wie Buchara am Horizont erschienen ist. Wie berauschend das Lebensgefühl, sich dann dort für einige Tage oder Wochen niederzulassen, sich zu erholen und neue Kräfte zu sammeln. Um sich danach abermals in die Gewalten des freien, weiten und unendlichen Landes zu begeben. Was hat den Menschen damals die Energie und Zähigkeit gegeben, derartig mühsame Strapazen auf sich zu nehmen und sie zu überstehen? Die Distanzen sind und waren groß. Wir kommen heute dreihundert Kilometer voran. Damals waren es zwanzig bis fünfundzwanzig Kilometer pro Tag. Und auch ich freue mich auf den Moment, wenn ich vielleicht morgen die ersten Türme der Stadt Buchara am Horizont entdecken kann.

Hochzeit in Chiwa / Wedding Party in Chiwa

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Hochzeit in Chiwa / Wedding Party in Chiwa

02.05.2015 Usbekistan / Chiwa / N41°22’50.7“ E060°21’29.4“

 

Sommer! Sommer! Sommer! Ich kann es nicht oft genug ausrufen! Ich springe, reiße die Arme in die Luft und freue mich von Mundwinkel zu Mundwinkel. Wir sind im Sommer angekommen! Hier sind die 33 Grad wohl erst der Frühling. Doch in meinem Herzen kommen Licht und Wärme an, die mich beglücken! Der Morgen hält wieder einen Abschied für uns bereit. Es sind Bakhitjan und seine beiden großen Kinder, die zu unserem Leo gekommen sind, um „Lebe wohl“ zu sagen. Wir wünschen ihnen Glück für ihre Familie, und hoffen für die Region, dass die Folgen der Aralsee Katastrophe kein fortschreitendes dramatisches Ausmaß annehmen. Sondern der mutige Einsatz und die klugen Gedanken der Menschen helfen, der Gegend Lebensqualität zu geben. Staub durch seine Straßen wirbelnd, verabschiedet sich die Stadt Nukus von uns.   Langsam, ganz langsam setzen wir unsere Fahrt fort. Im Schritttempo bewegen wir uns vorwärts, um den noch immer angeschlagenen Leo zu schonen. Wir bitten ihn, uns durch das Land zu führen. Das Tempo spielt für uns dabei keine Rolle. Wir halten alle fünfzig Kilometer an, machen eine „Abkühlpause“ und tuckern anschließend gemächlich weiter. Es fühlt sich an wie ein Spaziergang. Eigentlich sehr schön. Die ausgedehnten Wüstenfelder ziehen gemächlich an uns vorbei und verströmen eine Ruhe, die von viel Gelassenheit kündet. Ganz anders der Wind. Er faucht und wütet und tollt umher. Bläst Sand in die Luft, in unsere Augen und über die Piste. Er ist das Ungestüm, der unruhige Geist. Ein Wirbelwind. Wir überqueren eine Brücke. Groß und breit ist sie und überspannt den Amurdaja. Hier, gut einhundertfünfzig Kilometer von Nukus entfernt ist er tatsächlich noch der mächtige Strom, der sich gemächlich in seinem Bett aalt. Er gibt sein Bestes und schenkt der Gegend Fruchtbarkeit. Und so wird es von Kilometer zu Kilometer grüner, üppiger, saftiger um uns herum. Ich freue mich für die Menschen die hier leben, und bin gleichzeitig erfüllt vom Mitleid mit denen, die weiter nördlich nichts mehr von den prächtigen Lebenssäften abbekommen. Ein großes Kanalsystem versorgt im Gebiet um Chiwa die Felder und Gärten. Die Menschen machen einen sommerlich frischen Eindruck auf mich und irgendwie kommt es mir vor, als blättere ich in einem meiner alten Kinderbücher herum. Rotbackige Kinder sehe ich da. Bunt gekleidete Frauen, die lachend und schwatzend am Wegesrand stehen. Felder, die beginnen zu grünen und den Bäumen nacheifern, die schon in ihrer vollen Pracht erstrahlen.

Usbekistan/ Chiwa N41°22’50.7“ E060°21’29.4“

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An der alten Stadtmauer Chiwas machen wir Halt, um zu überlegen, wie wir den Abend verbringen möchten. Da klingelt unser Telefon und Hannelore von der GIZ in Chiwa lädt uns ein, mit ihr und ihrem Mann Helmut zu einer usbekischen Hochzeit zu gehen. Wir lieben es. Die spontanen Wendungen, die unerwarteten Überraschungen, die uns immer wieder begegnen. So sind wir begeistert und sitzen Minuten später bei den beiden im Auto, um gemeinsam zur Hochzeit zu fahren. Hannelore und Helmut Bedsen engagieren sich hier in der Tourismusförderung. Sie unterstützen die einheimischen touristischen Anbieter darin, ihre Angebote attraktiver und bekannter zu machen, um so besser von dem zu leben, was sie da tagtäglich leisten. Schätze gibt es hier viele zu heben. Chiwa hat eine Altstadt, die für uns das wahr gewordene Märchen aus „Tausend und einer Nacht“ ist. Ich muss mich kneifen, um zu begreifen, dass ich selbst gerade durch dieses Märchen laufe. Zurück zur Hochzeit. Ein Saal voller runder Tische und lila eingekleideter Stühle mit großen weißen Schleifen erwartet uns. Eine Seite der Tische ist für die Frauen bestimmt, die andere für die Männer. Über Stunden hinweg werden immer wieder Kleinigkeiten zum Essen aufgetragen und wir probieren uns durch all die Salate, Suppen und Gemüse hindurch. Lange dauert es bis das Brautpaar, oder besser die Bräute erscheinen. Und das läuft so ab. Mit tief gesenktem Kopf betritt die Braut am Arm ihres Bräutigams den Saal. Sie schaut traurig und demütig zum Boden. Immer wieder verbeugt sie sich, ohne auch nur für eine Sekunde den Blick zu heben. Hochzeit. Die „hohe Zeit“ löst hier in mir ganz andere Empfindungen aus, als es in unseren Breiten der Fall ist. Die Braut wohnt ab nun im Haus ihres Mannes und ist dort für den Haushalt und das Versorgen der Schwiegereltern zuständig. Die eigenen Eltern darf sie für lange Zeit nicht treffen und wenn, dann nur unter Begleitung der Schwiegermutter. Das Paar kennt sich kaum und so kommt eine große Umstellung auf die Braut zu. Sie tritt ein in eine ihr bis dahin vollkommen fremde Welt und kann nur hoffen, dass ihr Mann und die Schwiegereltern gut zu ihr sind. Das alles geht der Braut vielleicht nun auch durch den Kopf. Während sie, den weiteren Abend hindurch, stumm neben ihrem Mann sitzend zuschaut, wie die Gäste tanzen, essen und Reden halten. Ich sagte Bräute. Ja, da ist noch eine Zweite. Am anderen Ende des Saales sitzt mit genau dem gleichen gesenkten Blick ein junges Mädchen allein in ihrem Hochzeitskleid. Für sie ist es der Junggesellinnen Abschied. Auch sie sitzt den ganzen Abend schweigen da und schaut zu, wie sich alle anderen amüsieren. Vor ihren Augen tanzen ihre Freundinnen und feiern. Die Hochzeit dieses jungen Mädchens findet morgen statt. Sie wird dann wohl genau so dasitzen. Mit dem Unterschied, dass ihr Bräutigam dabei ist.

 

Die Wege des Lebens/ The ways of life

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Die Wege des Lebens/ The ways of life

01.05.2015 Usbekistan / Nukus /   N42°27’57.0“E059°36’34.6“

 

„Jipek Joli“, „Seidenstraße“ heißt das Hotel, vor dem wir einen Platz zum Parken gefunden haben. Einen Ort mit einem für uns passenderen Namen hätte es nicht geben können. Unsere kleine Karawane macht heute hier Halt. Wir gönnen dem Leo eine Verschnaufpause und bewegen uns leichtfüßig mit den Kindern von Bakhitjan durch die Gegend. Einen Friedhof wollen sie uns zeigen. Einen, der nicht nur durch seine Gräber vom Leben erzählt, sondern auf dessen Boden einst eine Stadt stand, deren Lehmbauten vom Wind fast vollkommen verweht sind. Doch deren Sagen und Geschichten umso prächtiger erscheinen. Wir hören vom Riesen, der hier begraben liegt, von untreuen Frauen und treuen Hunden, vom Vater, der seine Tochter nicht her geben will, auch wenn ihm dafür ein Prunkbau errichtet wird, wie es so keinen Zweiten gibt. Wir bauen Steinhaufen für unsere Wünsche und tragen damit der Geschichte Rechnung, dass die Welt erst untergeht, wenn der letzte Stein gefallen ist. Wir sprechen mit Shakhnoza, der Tochter Bakhitjans, über Spiritualität und die Kraft des Glaubens. Beides hat hier seinen ganz festen Platz im Leben der Menschen. Hingegen in unserer Kultur wohl jeder eher versucht, seinen eigenen Weg und Umgang damit zu finden. Was vor unseren Augen erscheint und was unser Innerstes an diesem Vormittag trifft, geht tief, lässt uns demütig und still sein. Wir sagen aus unseren Herzen heraus „Danke“ für das was ist. Erfüllt und müde zugleich kommen wir zum Mittag ins Haus der Khabibullaevs und freuen uns gemeinsam mit Markha zu kochen und zu essen. Unsere Mittagsruhe verlegen wir ins Museum von Nukus. Ein Künstler hat über viele Jahrzehnte hinweg Gemälde gesammelt, die in den Zeiten nach 1920, auf dem Gebiet der ehemaligen UDSSR, als verboten galten. Hier in Nukus haben sie alle einen würdigen Platz gefunden. Sie werden geachtet und bekommen nun die Aufmerksamkeit, die jedem einzelnen dieser Bilder zusteht. Ich bin fasziniert von der Farbenfreude und dem Licht, welches aus so vielen der Bilder zu mir strahlt. Angefüllt vom Licht der Farben fahren wir mit der Familie gemeinsam aufs Dorf. Die Großmutter hat Geburtstag und wir sind eingeladen. „Sogar aus Deutschland sind Gäste gekommen, und ihr nicht...“ müssen sich die Kinder am Telefon sagen lassen, die in Kasachstan leben und ihrer Mutter telefonisch gratulieren. Es ist ein Abend mit viel Lachen, Orden aus der Sowjetzeit, Familienbildern, traditionellen Kleidern, einem „Fünf Finger“ Essen mit dem heute frisch geschlachteten Truthahn und der gemeinsamen Freude darüber, welch verschlungene Wege unsere Leben gehen und wie schön die Begegnungen an den lichten Kreuzwegen sind.

Usbekistan/ Nukus N42°27’57.0“ E059°36’34.6“

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Karakalpakstan / Karakalpakstan

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Karakalpakstan / Karakalpakstan

30.04.2015 Usbekistan / Nukus / N42°27’57.0“ E059°36’34.6“

 

Es ist Sommer! Die Zeit der feuchten Kälte im Leo scheint vorbei. Wir beschließen, dass die allerdicksten Schuhe und Jacken nun verstaut werden können. Ob wir sie später wieder brauchen interessiert uns nicht. Heute ist heute. Das allein zählt. Bei 27 Grad und Sonnenschein verlassen wir Muynak, nicht ohne am Morgen noch den einen oder anderen Gast am Leo begrüßt zu haben. Unser Polizist, den wir am Vorabend mitgenommen hatten, kommt mit drei seiner Kollegen, um uns und den Leo zu inspizieren. Wie sie uns hier draußen gefunden haben, bleibt mir ein Rätsel. Doch wer weiß welche Fähigkeiten in einem Nomadenvolk stecken, von denen wir keine noch so leise Ahnung haben. Er ist in jedem Falle stolz uns schon zu kennen und erklärt seinen Kollegen, was er über uns weiß. Ein großes Buch im A4 Format haben sie mitgebracht. Da hinein wird alles geschrieben, was es laut den Pässen und der Grenz-Zettel über uns zu sagen gibt. Drei Männer mit einer Schildkröte im Arm statten uns ebenfalls einen Besuch ab. Sie alle sind freundlich, interessiert und vor allem erfreut, dass Gäste von weit her den Weg zu ihnen gefunden haben. Denn die Geschichte mit dem ausgetrockneten Aralsee ist für alle hier eine Katastrophe und sie wollen, dass die Welt darüber erfährt. Wir setzen unsere Fahrt Richtung Süden fort, um am Nachmittag in Nukus anzukommen. Es ist der Sitz der Regierung „Karakalpakstans“, einer autonomen Republik auf dem Territorium Usbekistans. „Karakalpakstan“ bedeutet „schwarze Mütze“ und steht für die großen Schaffellmützen, die in dieser Region in der Vergangenheit getragen wurden. Wir sind verabredet mit Bakhitjan Khabibullaev. Er ist der Regionalkoordinator der „GIZ“ in Nukus. Die „Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit“ ist eine deutsche Hilfs-Organisation, die in Usbekistan an mehreren Standorten vertreten ist. Hier im Westen des Landes drehen sich alle Projekte um den Aralsee. Wir sind beeindruckt davon, was uns Bakhitjan Khabibullaev über die in den vergangenen Jahren gelaufenen Aktivitäten erzählt. Zuerst einmal stellt er klar, dass die Austrocknung des Aralsees nicht mehr umkehrbar ist. Zu viele Menschen haben sich im Laufe der Jahrzehnte an den Ufern der beiden Flüsse Amudarja und Syrdarja angesiedelt. Zu viel Leben hängt entlang der Flüsse von dessen Wasser ab. Es ist ein trauriges Bild für uns, den großen Amudarja in einem weiten sandigen Flussbett ersterben zu sehen.

Usbekistan/ Nukus N42°27’57.0“ E059°36’34.6“

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Er hört mit einem Mal auf ein Fluss zu sein. Vor unseren Augen erstreckt sich ein riesiges sandiges Flussbett, welches wohl nie mehr Wasser in sich bettet. Welcher Wassermassen würde es bedürfen, um die klaffende Distanz von 300 Kilometern bis zu den heutigen Resten des Aralsees zu überwinden? Das Wasser ist weg. Das ist die eine Tatsache, doch die salzigen Rückstände des einstigen Seebodens werden mit dem Wind und dem Regen nun ins Land getragen und versalzen somit das gesamte Gebiet und dessen Grundwasser. Das wiederum führt zu komplett unfruchtbaren Böden. Und so ist aus einer Gegend, die einst reich an Obst war, ein weiße Wüste geworden, in der die Kinder auf einem Fußballplatz spielen, der von einer dicken weißen Salzkruste überzogen ist. Das Salz schadet zudem der Gesundheit aller. Da es über die eingeatmete Luft und das getrunkene Wasser in die Lungen und anderen Organe der Menschen gelangt und sich dort ablagert. Was wiederum zu folgenreichen Erkrankungen führt. Die Projekte, die Bakhitjan Khabibullaev anschiebt und betreut versuchen unter anderem den versalzen Boden wieder kultivierbar zu machen, indem auf weiten Flächen frischer Sand aufgebracht wird, in den Tamarisken gepflanzt werden. Tamarisken vertragen salzhaltige Böden und können sie sogar wieder wandeln. Ein weiteres Projekt kümmert sich um die extremen Heuschreckenplagen die hier herrschen. Die Heuschrecken legen ihre Eier in den Sandboden. Fließt Wasser darüber, bleiben die Eier im Boden. Doch trocknet dieser aus, schlüpfen mit einem Mal unbeschreibliche Mengen an Larven, die dann über Monate zu Heuschreckenplagen führen. Ich bin sprachlos, wie groß und dramatisch die Folgen dessen sind, was durch das zerstörte Ökosystem des Aralsees ausgelöst wurde. Die Projekte werden mit der einheimischen Bevölkerung gemeinsam mit Leben versehen. Denn nur so kann es zu Nachhaltigkeit und einem bewussten Handeln der Menschen hier führen. Bakhitjan Khabibullaev leistet eine gewaltige Arbeit für sein Land und dessen Menschen. Wir freuen uns, ihn kennen gelernt zu haben. Am Abend nimmt er uns mit in sein Haus und so können wir auch seine herzliche Familie treffen. Sie alle sprechen sehr gut Deutsch, da Bakhitjan Khabibullaev mit seiner Familie viele Jahre in Deutschland lebte, wo er im diplomatischen Dienst tätig war. Als wir zum Leo zurück kommen, der die ganze Zeit wartend vor einem Hotel steht, fragen wir uns wieder einmal, ob das heute tatsächlich nur ein einziger Tag war. So reich ist er an Eindrücken und Informationen.

 

Im Aralsee / Into the Aral lake

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Im Aralsee / Into the Aral lake

29.04.2015 Usbekistan / Muynak / N43°48’58.5“ E059°01’50.8“

 

Der erste Morgen in einem neuen Land trägt etwas Bezauberndes in sich. Alles ist noch frisch und neu für uns. Jede Entdeckung ist die des ersten Mals. Sehend tasten wir uns vorwärts, um zu erfahren, wie Usbekistan auf uns wirkt. Was es uns von sich zeigt und preisgibt. Noch immer sind wir auf dem „Ustjurt Plateau“, welches sich von Turkmenistan, über Kasachstan, bis an den Rand des Aralsees in Usbekistan zieht. Seit Wochen ist es der Boden, auf den wir unsere Füße setzen. Die Dimensionen und Ausmaße sind immens, auch wenn es auf der anderen Seite fast etwas niedlich Kleines hat, stelle ich das Ustjurt Plateau mit der Größe ganz Kasachstans oder gar Russlands ins Verhältnis. Wie groß unsere Erde ist. Wie gewaltig und stark auf der einen und wie empfindlich und verletzlich auf der anderen Seite. Wir fahren heute geradeaus. Nicht fünfzig Kilometer. Nein, dreihundertfünfzig Kilometer führt unsere Piste schnurgerade durch den hintersten Westen Usbekistans. Außer einer Bahnlinie und Sand, so weit wir blicken können, gibt es hier nichts. Und doch finden wir es schön und können uns nicht satt sehen an dieser auf uns so beruhigend wirkenden Landschaft. Meine Gedanken fliegen und schlagen Purzelbäume, wenn es nicht gerade wieder die Piste ist, die so extreme Krater hat, dass ich keinen Gedanken zu fassen bekomme. Am späten Nachmittag macht die Strecke zum ersten Mal eine Kurve und wir biegen ab Richtung Norden. Muynak ist unser Ziel. Das ehemalige Uferland des Aralsees. Die Dörfer die wir nun queren sind klein und vereinzelt. Wir fühlen uns um Jahrzehnte, wenn nicht mehr, in der Zeit zurückversetzt, als wir den Mann auf seinem Eselkarren, die Frau mit ihrer Milchkanne oder die Männergruppe in Hockstellung am Boden sitzen sehen. Jede dieser Szenen wirkt friedlich, wie sie sich da im tief liegenden Sonnenlicht vor uns abspielt. Wir werden von einem Mann in Uniform gestoppt. Ich will schon die Pässe zücken, doch er ist der Polizist im Dorf und möchte einfach von uns die sechzig Kilometer bis Muynak mit nach Hause genommen werden. Der Polizist hat hier kein Dienstfahrzeug. Er steht, den Arm heraus haltend, an der Straße, wie es alle anderen auch tun, um mitgenommen zu werden. Wir laden ihn zu uns ein und weiter geht’s. Er erzählt ein wenig vom Aralsee. Dass es dreißig Jahre her sei, als der See ging. Muynak, bis 1970 eine Stadt am See, die vom Fischfang lebte und noch heute den Fisch als ihr Wappentier trägt.

Usbekistan/ Muynak N43°48’58.5“ E059°01’50.8“

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Ab dem Jahr 1990 nahm die Versandung dramatische Ausmaße an und vom Jahr 2000 bis 2015 ist es für mich nicht mehr fassbar, wie stark der Schwund des Aralsees ist. Fast nicht mehr als solcher wahrnehmbar, gibt es vereinzelte Wasserstellen, welche die Reste des einstigen Sees sind. Im Norden führte der Syrdarya sein Wasser in den See, im Süden war es der Amudarya. Beide Flüsse versanden nun weit vor der Mündung und schaffen es nicht mehr, ihr Wasser in den See fließen zu lassen. Die Gründe? Zu viel Wasser wurde den Flüssen in der Vergangenheit entzogen und zur landwirtschaftlichen Nutzung in einem Maße abgezweigt, die das Ökologische System komplett zerstört haben. So stehen wir in Muynak nun am ehemaligen Ufer des Sees. Unter unseren Füßen ist der weiche Sand vom einstigen Strand. Muscheln liegen am Boden und alles sieht danach aus als läge hinter der nächsten Sandkuppe das Wasser. Doch steige ich da hinauf, weitet sich vor mir die Sicht und gibt den Blick frei auf ein Land, dass stumm vor mir liegt und dem die schützende Wasserhaut zu fehlen scheint. Schiffsfracks stehen zusammen gerückt im Sand und erzählen von ihren Heldentaten, die sie vollbrachten, als sie noch auf den Wellen schaukelten. Sie hatten ihren Spaß in diesem vergangenen Leben als stolzes Schiff auf dem Aralsee. Nun sind es gebrochene Seelen, die sich hier aufgebaut zu haben scheinen, um mit ihrer Anwesenheit die Menschen dazu aufzurütteln, vielleicht doch noch etwas zu tun, um die Geschichte des Sees umkehrbar zu machen. Ja, gewaltig und stark ist sie, unser Natur und manchmal hart, ihre Kräfte. Sie kommen mir hier draußen oft übermächtig vor. Doch ist das System der Landschaft eben zugleich empfindlich und verletzlich, wenn wir Menschen zu selbstherrlich auf sie einwirken. So vergraben wir am Abend unsere Füße im Sand des einstigen See-Grundes und hören dem Rauschen der längst verflossenen Wellen zu.  

Abenteuer Grenze / Adventure border

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Abenteuer Grenze / Adventure border

28.04.2015 Usbekistan / Grenze Usbekistan / N44°40’09.0“ E056°22’52.0“

 

Sieben Uhr aufstehen, einen Kaffee im Stehen, Motor warm laufen lassen. Start. Vierhundertfünfzig Kilometer bis zur Grenze nach Usbekistan liegen vor uns. Und wie wir inzwischen wissen, ist das keine Fahrt auf gutem Asphalt. Wir rechnen inzwischen mit allem, was den Zustand dessen angeht, was sich hier „Straße“ nennt. Die ersten einhundertfünfzig Kilometer sind eine Wohltat. Der Belag ist neu, wie kommen gut voran. Ohne irgendeine Art von Vorankündigung hört mit einem Mal die Straße auf. Wir stehen vor einem großen Haufen Sand. Das war es dann auch schon. Rechts nur Steppe, links nur Steppe. Wir sehen Staubwolken am Horizont. Für uns das sichere Zeichen, dass da irgendwo die Piste lang gehen muss. Und ja, wir finden sie. Vierzig Kilometer quälen sich nun neben uns schwer beladene Sattelzüge einen Weg entlang, der von massenhaftem Staub, über große Löcher, bis hin zu ziemlichen Steigungen alles zu bieten hat. Ab und an sehe ich ein Schild mit der Geschwindigkeitsbegrenzung auf 40km/h. Ich muss laut lachen. Die haben hier wirklich einen eigenwilligen Humor. Denn an schneller als 20km/h ist hier beim Fahren nicht zu denken. Zur Erholung wechselt sich die Straße in Folge immer mal zwischen neuem Belag und übelster Piste ab und wir erreichen nach sechs Stunden und dreihundertfünfzig gefahrenen Kilometern den letzten Ort vor der Grenze. Wir tanken noch einmal komplett voll. Da es in Usbekistan absolut keinen Diesel zu haben gibt. Wahnsinn. Wie machen das nur all die Lasttransporter, die von sonst woher nach Usbekistan kommen und auch wieder gehen? Keine Ahnung. Wir rechnen uns aus, wie viele Kilometer wir mit unserem getankten Diesel kommen und werden ab jetzt streng Buch führen, damit er reicht, bis wir das Land verlassen. Knapp einhundert Kilometer trennen uns noch von Usbekistan. Kasachstan macht es uns nicht leicht zu gehen, so schlecht ist die „Straße“. Im Schneckentempo arbeiten wir uns voran und sprechen darüber, dass es den Ländern hier offensichtlich im Moment mehr darum geht, die Verkehrsstruktur im eigenen Land ein klein wenig nach vorn zu bringen. Die Verbindungen zwischen den Ländern scheinen da nicht dazu zu gehören und auf der Warteliste an hinterster Stelle zu stehen. Wir haben Mitleid mit all den Trucker Fahrern die das hier als ihren Alltag erleben. Und dann ist sie da. Nicht wirklich sichtbar. Sondern im Nebel des Staubes erst einmal nur zu erahnen.

Usbekistan/ Grenze Usbekistan N44°40’09.0“ E056°22’52.0“

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Die Grenze zwischen Kasachstan und Usbekistan. Wir fahren an Zeltlagern wartender Usbeken vorbei. Die scheinen sich für länger hier eingerichtet zu haben. Na gut. Wir versuchen unser Glück und fahren an das Grenztor heran. Mal sehen, was passiert. Und tatsächlich. Nach einer Weile öffnet sich das Tor für uns, um danach auch sofort wieder geschlossen zu werden. Ein wenig kennen wir die Prozedur nun schon, von der Einreise nach Kasachstan. Nummernschild scannen, Passkontrolle an Punkt ein. Leo abstellen. In die Abfertigungshalle gehen. Und sehen, was geschieht. Dort will man Papiere von uns sehen, die wir beim besten Willen nicht haben. Wir können nur das vorzeigen, was wir bei der Einreise erhalten haben. Nicht mehr und nicht weniger. Uns wird mit Geldstrafe gedroht und die Finger werden gekreuzt, um uns ein Gefängnis anzudeuten. Was sollen wir tun? Wir bleiben ruhig stehen und warten ab. Irgendwann hat der Mann genug, lässt von uns ab und ein anderer übernimmt. Man kümmert sich offensichtlich erst einmal um andere Schritte, die zur Ausreise nötig sind. Ein System erkennen wir nicht. Einer Logik entzieht es sich uns. Doch das ist uns eigentlich auch egal. Wenn es nur irgendwie vorwärts geht. Und das geschieht auch. Nach zwei Stunden werden wir mit „Good luck“ und „Good journey“ verabschiedet und können fahren. Fein. Erste Etappe geschafft. Wir sind aus Kasachstan ausgereist und haben sogar noch ein paar Stunden Pufferzeit mit unserem Visum. Usbekistan. Leo abstellen. In das Häuschen gehen. Deklarationspapiere ausfüllen. Kopien von sämtlichen Papieren anfertigen lassen und warten. Warten an jedem Schalter, an jedem Kontrollpunkt und überhaupt. Warten. Doch das Wetter ist gut und wir haben unseren Spaß mit den Trucker Fahrern. Aus Russland kommen sie, aus Litauen, Weißrussland. Zwei Fahrer kommen sogar aus Kaliningrad. Dem ehemaligen Königsberg. Dorther stammt auch mein Vater. Er wurde mit seiner Familie im Krieg vertrieben und ist auf sehr traurige und dramatische Weise irgendwann in Deutschland gelandet. Heute ein Glück für uns alle, dass das Schicksal meinen Vater nach Deutschland verschlagen hat. Ich sehe mir die Männer an und denke über die Zufälle des Lebens nach. Wie anders Leben verlaufen, wenn an wenigen Weggabelungen unterschiedliche Richtungen eingeschlagen werden. Irgendwann sind wir mit den Personenkontrollen durch und es geht nur noch um den Leo. Das „nur noch“ wird zum Eigentlichen und das zieht sich. Wir stehen da und keiner will etwas von uns. Als dann einer kommt, fragt er uns nach Dingen, die wir ihm einfach nicht beantworten können. Wir sind jetzt offensichtlich in der Trucker Abteilung und da gibt es vollkommen eigene Gesetze. Nach einer Weile hilflosem hin- und her Fragen nimmt er einen teil unserer Papiere mit und verschwindet aus unserem Sichtfeld. Was nun sein soll? Wir wissen es nicht. Es dämmert. Aus der Dämmerung wird allmähliche Dunkelheit, die in die Schwärze der Nacht in der Wüste übergeht. Wir lenken uns gemeinsam mit allen anderen ab, die hier so rum stehen.

 

Dann Aktionismus. Wir sollen dahin und dorthin und dann wieder dahin gehen... Gut, machen wir. Getan wird an den Stellen zwar nichts. Sondern wir werden einfach weiter geschickt, bis wir wieder beim ersten Mann angekommen sind. Der meint, dass nun alles gut sei und wir fahren könnten. OK. Keiner wollte mehr in den Leo sehen, keine weitere Untersuchung. Nichts wie los, bevor wieder irgendjemanden irgendetwas einfällt. Am Grenztor werden wir nach einem Coupon gefragt, den wir nicht haben und zurück geschickt. Zu früh gefreut. Sten macht sich noch einmal auf die Suche und kommt tatsächlich mit diesem Coupon zurück. Woher und wofür. Wir fragen nicht. Geben ihn ab. Das Tor öffnet sich und entlässt uns in die Nacht. Dunkelheit, übelste Piste, Müdigkeit und Hunger. Wirklich muntere Gesellen, die sich da gerade zusammen gefunden haben... Eine Stunde fahren wir noch, bis wir endlich einen Abzweig von der Piste finden, um uns etwas Abseits einen Platz für die Nacht zu suchen. Noch eine Kleinigkeit essen und dann einfach schlafen. Mehr steht heute nicht mehr auf dem Programm. Gute Nacht Usbekistan.

Kommentar

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    Hollo Ede und Sten sie haben fuer unsre Familie grosse Freude gebracht und wir sprechen sehr oft über ihre Reise. Ich hoffe mit ihre LKW ist alles OK!

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    Hallo ihr beiden Weltenbummler, ich bin froh, dass euer Leo wieder fährt. Ab Dienstag bin ich in Ashgabat und in Gedanken bei euch, weil wir uns wahrscheinlich leider nicht in Zentralasien treffen können. Weiterhin anregende Begegnungen und Begebenheiten mit den wunderbaren Menschen dort wünscht euch Birgit

    • Sten

      Hallo Birgit, Vielen Dank für deinen support hier in Zentralasien – und so bist du auch ein bischen dabei, wenn wir Kontakt mit deinen alten Bekannten aufnehmen. Auch wenn wir uns lange nicht persönlich gesehen haben, so sind wir uns darüber doch sehr nah! Vielen Dank noch einmal!!!!!!! Gestern haben wir hier in Taschkent gemeinsam mit Sergey Danilov in einer Familie Plov gekocht uns seinen Gagagen-Wein probiert, der einfach toll war.Ich glaube der Kontakt zu Sergey kam auch irgendwie über Dich zu Stande. Er müht sich sehr über Ess-Traditionen in Usbekistan – schau mal auf seiner Facebookseite – Delicious Uzbekistan.
      Am 12.5. wollen wir weiter nach Kasachstan ziehen.
      Viele Grüße Ede und Sten

    • Sten

      Hallo Birgit, Vielen Dank für deinen support hier in Zentralasien – und so bist du auch ein bischen dabei, wenn wir Kontakt mit deinen alten Bekannten aufnehmen. Auch wenn wir uns lange nicht persönlich gesehen haben, so sind wir uns darüber doch sehr nah! Vielen Dank noch einmal!!!!!!! Gestern haben wir hier in Taschkent gemeinsam mit Sergey Danilov in einer Familie Plov gekocht uns seinen Gagagen-Wein probiert, der einfach toll war.Ich glaube der Kontakt zu Sergey kam auch irgendwie über Dich zu Stande. Er müht sich sehr über Ess-Traditionen in Usbekistan – schau mal auf seiner Facebookseite – Delicious Uzbekistan.
      Am 12.5. wollen wir weiter nach Kasachstan ziehen.
      Viele Grüße Ede und Sten

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    Wünsche ich euch eine Schöne Reise…


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