Schwimmende Dörfer / Floating villages
02.11.2015 Siem Reap / Kambodscha / N13°24’23.0“ E103°49’33.5“
Die Frauen der Familie haben es sich in unseren Stühlen vor dem Leo gemütlich gemacht. Sie sitzen still da, während ihre Münder einen Haufen an Ideen und Spekulationen aus sich heraus spülen. Jedes Detail wird beobachtet und kommentiert. Wir hören es von drinnen und verhalten uns noch ein wenig, als schliefen wir. Manchmal ist es nicht leicht, unter so viel Aufmerksamkeit am Morgen die Tür vom Leo zu öffnen. Es ist der Moment, von dem an keine Bewegung mehr ungesehen bleibt. Fast habe ich mich daran gewöhnt, beim Tomaten schneiden, Brot rösten, Teewasser brühen, in ein Stück Melone beißen, Treppe fegen oder Zähne putzen eine Reihe von Zuschauern zu haben. Doch ein Rest an Unbehagen bleibt. Ich verstehe, dass wir für die Menschen das gefühlte Highlight des Tages sind. So was gibt es nicht immer zu sehen. So lächele und winke ich ihnen zu und schnippele einfach an meinen Tomatenstückchen für den Frühstückssalat weiter.
Zum Abschied von der Familie, die uns so herzlich auf ihrem Stück Land aufgenommen hat, schenke ich den Frauen Schäler für ihr Gemüse. Aus gutem Solingen Stahl. Ich hatte vor der Reise lange nachgedacht, was sinnvolle Geschenke sein könnten, die wir ab und an den Menschen geben, wenn wir das Gefühl haben, dass sie es gebrauchen können. Gemüse Schäler für die Frauen und Opinell Messer für die Männer haben wir dabei. Beides nehmen die Männer und Frauen mit strahlenden Augen. Nur aufpassen muss ich, dass keine der Frauen zu kurz kommt. Wenn dann doch noch einen Cousine der Schwester von nebenan da steht und erwartungsvoll schaut. Ich bemerke die Blicke und habe auch für sie noch einen bunten Schäler dabei.
Das Tuk Tuk wartet, um uns an das matschige Ufer des „Tonle Sap“ Ausläufers zu bringen. Der „Tonle Sap“ ist der größte See Südostasiens. Seine genauen Ausmaße lassen sich nicht benennen, da sie zwischen 2.600 und 10.400 Quadratkilometern schwanken. Während der Regenzeit schwillt der See derart an, dass er von 2-3 Metern auf 14 Meter Tiefe anwächst. Elf Meter Höhenunterschied auf dieser riesigen Fläche. Eine unglaubliche Schwankung in meinen Augen. In der Hochzeit des Regens im September stehen in Kambodscha zwei Drittel des bewirtschaftbaren Landes unter Wasser. In diesen Monaten fließt das Wasser des Mekongs in den „Tonle Sap“ hinein. Um später, im November, seine Fließrichtung zu ändern. So speist der See in den trockenen Monaten wiederum den Mekong. Ein phantastisches Spiel der Natur. Sie regelt das von ganz allein. Ohne unsere menschlichen Hände zu benötigen. Ich hoffe für die ganze Region, dass die geplanten und bereits gebauten Staudämme dieses System aufrecht erhalten und nicht zum Kippen bringen. Denn sowohl die Landwirtschaft als auch das Leben der Fische, und damit natürlich der Menschen, hängt in entscheidendem Maß von diesem Fluss der Dinge ab. Ich freue mich, inmitten dieses Überflusses an Wasser zu stehen. Haben wir es am Aralsee ja schon ganz anders erleben müssen…
Das Tuk Tuk hält an. Wir steigen aus. Oder besser, wir rutschen aus. Um uns herum sieht es aus wie auf einer Großbaustelle. Schlamm, nasser Sand, Wasser. Kipper, die Erde bringen, Raupen, die sie verteilen, um den Boden einigermaßen zu befestigen. Großbaustellenwerkzeuge und dazwischen umherschlitternde Menschen. Die mit den Tuk Tuks, die mit den Booten und die, die zu Besuch sind. Wir. Zu einem der „schwimmenden Dörfer“ wollen wir. Sie liegen am Ufer des „Tonle Sap“, umgeben von Mangroven Wäldern. Die Strecke dorthin ist mal kürzer und mal länger. Je nachdem wie hoch das Wasser steht. Es scheint momentan zurück zu gehen. Denn manche der Boote bleiben im Sand stecken. Unseres auch. Sten versucht mit aller Kraft, den „Karren aus dem Dreck“ zu ziehen. Doch der Sandboden ist unerbittlich. Das Boot dreht sich, doch kommt nicht frei. Also schlittern wir durch den Matsch zu einem der Boote, welches weiter vorn liegt. Dort, wo das Wasser noch tiefer ist und freie Fahrt ermöglicht. Wie die Beine von Bauarbeitern sehen unsere Flip-Flop Füße nun aus, doch wir erfreuen uns an dem Fahrtwind des Bootes, der ein wenig Erfrischung vorbei schickt.
Die ersten Häuser tauchen auf. Hochstelzig wie es höher kaum geht. Aus zehn Metern schauen die Leute aus ihren Hochhäusern herunter. Das Wort „Hochhaus“ bekommt hier für mich einen ganz neuen Sinn. Das Wasser plätschert um die frei stehenden Stützen herum, die zu anderen Zeiten komplett untertauchen. Dann, wenn der Wasserstand am höchsten ist. Einen Alltag auf verschiedenen Levels führen die Menschen hier. Fischfang ist ihr Geschäft. Der See ihr Leben. Ihren Schulweg legen die Kinder hier nicht zu Fuß oder auf dem Fahrrad zurück, sondern per Boot. Wasserschlachten sind ihr Spaß. Weiße Schulkleidung von Wasser getränkt.
Wir gleiten in unserm Boot durch das Bild hindurch, durchstoßen die Leinwand, um uns dahinter trotzdem, immer noch oder wieder im Bild zu befinden. Bunt sind die Boote, bunt sind die Leute, die sich mal rudernd, mal motorisiert vorwärts bewegen. Bei allem was sie tun scheint ihr Thema der „Fisch“ zu sein. Mal mit dem Fang beschäftigt, mal mit den Netzen, oder dem Zubereiten. Einer der fischreichsten, wenn nicht DER fischreichste See der Erde soll er sein, der „Tonle Sap“. Der See der Superlative, mit seinem Spiel des Hin und Her der fließenden Richtungen. Inspiration mal in den See hinein, mal aus ihm heraus. Ein Sinnbild was mir gefällt.
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